Der König von Sibirien (German Edition)
echten nicht zu unterscheiden war.
Zwei Lkw trafen sich mitten in der Nacht außerhalb des Lagers und stoppten. Die Fahrer stiegen aus, sprachen miteinander, tauschten Papiere und Geld und öffneten die mit einer Plane überzogene Ladefläche. In diesem Augenblick stürzten Soldaten und Milizionäre aus ihren Verstecken und umzingelten die Fahrzeuge. Die beiden Männer wurden festgenommen, dann jedoch kam die Überraschung: Beide Lkw waren leer, hatten nichts geladen. Wie aus zwei Schreiben zu ersehen war, wechselte das Geld nur den Besitzer, weil einer es dem anderen schuldete.
Die Show war ein Erfolg, man konnte den Spitzel, der die Szene verdeckt beobachtet hatte, genau ausmachen. Was dann drei Wochen später geschah, war allein das Gesetz der Taiga.
Ein Trupp aus der Nachbarbrigade hatte die Auffahrt zu einer Bahnrampe zu befestigen. Aus diesem Grund wurde die Teermaschine von einem rückwärts fahrenden Bulldozer meterweise eine Schräge hochgezogen, damit Arbeiter mit Hilfe von Spritzdüsen den stinkenden Sirup auf dem vorbereiteten Untergrund verteilen konnten. Anschließend warf man Split darüber, und eine Walze drückte die kantigen Steine fest in den heißen, schwarzen Brei. Alle zehn oder fünfzehn Minuten kletterte ein Mann auf die Maschine, um von einem Begleitfahrzeug Rohmaterial aufzunehmen, das, wenn es genügend erhitzt worden war, kurz darauf in flüssiger Form weiterverarbeitet werden konnte. Dazu hatte der Betreffende manchmal mit einem Stab in einem Trichter herumzustochern, damit der sich nicht verstopfte.
Wie auf ein geheimes Zeichen schauten plötzlich alle zu der Teermaschine, als sich abermals ein Arbeiter die schmale Eisenleiter hochhangelte. Während er mit dem Stab hantierte, ruckte der Bulldozer - die Kupplung war wohl nicht mehr die beste - und damit zwangsläufig auch die Teermaschine. Der Mann verlor das Gleichgewicht und kippte kopfüber in die kochendheiße klebrige Masse. Zwei Sekunden zuckten seine Beine, ein letzter Kampf, dann war alles ausgestanden.
Bei der unmittelbar darauf angesetzten Untersuchung bezeugten mehr als vierzig Personen, dass es ein Unfall war.
Anna bedrängte ihn, ihre Beziehung zu legalisieren, Alexander sträubte sich, aber er wohnte auch weiterhin mit Anna zusammen. Inzwischen zum Hilfsbrigadier befördert, hatte man ihm zwei Zimmer zur Verfügung gestellt.
»Ich liebe dich, Kirjan.«
Alexander schwieg.
»Und wie steht es mit dir? Liebst du mich auch?«
»Bitte Anna, was soll das.«
»Ich will nur wissen, ob du für mich etwas übrig hast.«
»Ja, ich mag dich.«
Ihre Stimme klang enttäuscht. »Aber es ist keine Liebe.«
Er schaute zum Fenster hinaus.
»Kannst du überhaupt lieben?«
Alexander zählte die Sterne.
»Hast du schon jemals eine Frau geliebt?«
Er wollte nicht antworten. Hellen sah er vor sich, vom Regen durchnässt und mit geröteten Augen. Ja, sie hatte er geliebt.
»Ich glaube, du hast unfähig, etwas zu empfinden. Kirjan, du tust mir leid. Du weißt nicht, was dir dabei entgeht.«
Er wandte sich ihr zu und seine Stimme klang hart, als er antwortete: »Glaube mir, ich empfinde schon etwas. Aber frage bitte nicht, was.«
Arbeit und Anna, beides wurde ihm zur Belastung. Nicht körperlich, sondern weil er sich eingeengt fühlte. Den langen Winter über zögerte Alexander seine Entscheidung hinaus, obwohl er schon längst wusste, was er zu tun gedachte.
Wohlüberlegt reichte er im Februar für den April ein Urlaubsgesuch ein. Da alle anderen im Sommer verreisen wollten, gab es keine Schwierigkeit, den Urlaub bewilligt zu bekommen.
Anna erfuhr von einer Kollegin aus der Verwaltung von Alexanders Vorhaben.
»Du willst ohne mich weg?«
»Ja.«
»Warum, Kirjan?«
»Ich besuche meine Familie.«
»Wo lebt die denn?«
»In der Nähe von Nowosibirsk.« Das stimmte nicht ganz. »Komm, erzähl mir von ihr.«
Alexander wimmelte ab. »Du würdest dich nur langweilen.« »Nein, bestimmt nicht.« Anna spielte mit seinen Brusthaaren. »Ich bin ja zwei Wochen später schon wieder zurück.«
»Warum nur so kurz?«
»Weil ich etwas regeln muss.«
Sie schlängelte sich zu ihm hoch, und ihr warmer Körper lockte. »Wäre das denn keine gute Gelegenheit, mich deiner Familie vorzustellen?«
Alexander schüttelte den Kopf. »Das käme für meine Mutter zu überraschend. Sie ist krank«, log er.
Anna liebkoste Alexanders Körper, als könnte sie ihn dadurch umstimmen. Aber er war nicht umzustimmen. Ihn hatte tatsächlich das
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