Der König von Sibirien (German Edition)
in der Nacht. Es dauerte lange, bis das Gespräch zustande kam. Als Nikolai den Hörer auflegte, wirkte er fast übermütig.
»Sato bringt das Geld nach Wladiwostok. Er wird wie ein Diplomat behandelt und auf dem Flugplatz nicht kontrolliert. Von Wladiwostok geht es noch am gleichen Tag nach Irkutsk. Übermorgen kann ich es dort in Empfang nehmen.« Leise und für Alexander kaum verständlich fügte er hinzu: »Schön, wenn man Freunde hat.«
Seit Stunden warteten Alexander und Nikolai. Kein Wort kam von dem Älteren und keine Regung. Er überlegte. Alexander vermeinte dessen geistige Tätigkeit am Mienenspiel ablesen zu können. Nikolai lächelte, wenn er an seine Tochter dachte. Hart dagegen zeichnete sich die Kinnmuskulatur ab, wenn er sich mit den Entführern beschäftigte.
Alexander schlich hinaus und ging zu Bett.
Am kommenden Morgen weckte ihn Nikolai schon sehr früh. Die Kidnapper hätten den Übergabeort des Geldes genannt. In Kirensk, mitten in der Stadt, praktisch gleich vor seiner Haustür, als wollten sie ihn düpieren. Ob er, Alexander, bereit sei, den Koffer mit den zwei Millionen Dollar hinzubringen?
»Selbstverständlich. Sag mal, hast du eigentlich vergangene Nacht geschlafen?«
»Nein.«
Die Übergabe am darauffolgenden Tag verlief so professionell, dass Alexander nicht mitbekam, woher die Kassierer kamen, wer sie waren und wohin sie verschwanden.
Alexander hatte sich entsprechend der Anweisung an einer Bushaltestelle in die Schlange der Wartenden einzuordnen, die nach Arbeitsschluss auf dem Heimweg waren. Plötzlich spürte er in der linken Seite einen harten Druck. Eine Pistole, vermutete er. Sogleich kam die Aufforderung, sich nicht umzudrehen und den Koffer auf den Boden zu stellen. Alexander befolgte die Anweisung, und als er wenige Sekunden später die anderen Fahrgäste anschaute, erblickte er Nikolai.
»Komm, Robert, sie sind längst weg.«
»Hast du sie gesehen?«
»Nein. Ich hoffe aber, einer meiner Männer kann sie beschreiben.«
Und dann warteten sie in Nikolais Haus. Sie sprachen kein Wort. Sogar das Telefon schwieg, das der Sibiriake nicht aus den Augen ließ und zu hypnotisieren versuchte.
Nach einer halben Stunde bemühte sich Alexander, den Älteren aufzumuntern. »Sie werden deine Tochter freilassen.«
Nikolai nickte. »Darum geht es nicht. Sie können sich meine Rache vorstellen.«
»Um was geht es dann?«
»Die beiden Fahrer. Ich glaube, man wird sie umbringen. Allein schon aus dem Grund, um mich zu demütigen und um zu zeigen, dass ich nicht auf meine Leute aufpassen kann.«
Mitarbeiter von Nikolai fanden die beiden Fahrer am nächsten Morgen vor dem Bürohaus. Mit dem Rücken lehnten sie an der Wand, als ruhten sie sich aus. Mitten auf der Stirn hatte jeder ein kleines Loch. Nikolai - er wusste genau, sie provozierten ihn und versuchten, ihn lächerlich zu machen - wurde im Verlauf des Tages immer nervöser und gereizter. Am Heiligabend, der Sibiriake feierte Weihnachten nicht am 1. Januar, sondern als Katholik eine Woche vorher, stand Larissa vor der Tür. Benommen sah sie aus, war schmutzig und müde. Nikolai, von dem alle Spannung abfiel, vermutete richtig, dass man seine Tochter unter Medikamente gesetzt hatte.
Larissa schlief sechzehn Stunden. Anschließend berichtete sie, wie der Überfall abgelaufen war. Vor ihnen stand ein Auto schräg am Baum, als hätte es einen Unfall gehabt. Die Lkw stoppten, denn einem in Not geratenen in der Wildnis zu helfen war ungeschriebenes Gesetz. Die zwei Fahrer, die sich zu wehren versuchten, erschoss man sofort, Larissa und die beiden anderen bekamen Kapuzen über den Kopf und wurden gefesselt. Wo man sie hingebracht hatte, konnte Larissa nicht sagen.
Nikolai interessierte ihre Geschichte gar nicht sonderlich. Immer wieder schaute er seine Tochter an und lächelte, weil er froh war, sie wieder gesund in den Armen halten zu können.
Zu dritt saßen sie in dem großen Wohnzimmer, neben dem Flügel stand ein geschmückter Baum mit brennenden Kerzen. Nikolai überhäufte seine Tochter mit Geschenken. Besonders angetan hatte es ihr ein Mantel aus Zobelfellen, der Larissas gute Figur nicht verbergen konnte und einen reizvollen Kontrast zu ihren rotblonden Haaren bot.
»Hier, für dich.
Nikolai drückte Alexander einen Ordner in die Hand. Er schlug ihn auf, sein Inhalt beschäftigte sich mit der Geschichte der Wolgadeutschen.
»Tut mir leid, Nikolai, ich habe leider ...«
Der Sibiriake winkte ab und zog den Jüngeren
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