Der König von Sibirien (German Edition)
sich, zuzugeben, dass er Larissa sympathisch fand. Etwa in der Art wie die Ewenkin Tarike. Er sträubte sich besonders deshalb, weil sie die Tochter von Nikolai war.
»Und darüber reden wollen Sie auch nicht?«
Er verneinte.
»Obwohl es Sie ungemein bedrückt, Sie in sich ein Meer aus Unsicherheit fühlen?«
»Larissa, quälen Sie mich bitte nicht.«
Nach Möglichkeit vermied Alexander Larissas Gegenwart, sogar an Neujahr, zu dem Nikolai mehr als hundert Gäste eingeladen hatte. Der große Saal in der Holzvilla war geschmückt, zwei Kapellen sorgten abwechselnd für Musik, Kellner schwirrten umher und boten Getränke und kleine Häppchen an. Alle amüsierten sich, nur Alexander stand hilflos herum und konnte nicht viel mit der ausgelassenen Gesellschaft anfangen. Er war der stille Beobachter, der sich selbst ausgrenzte und dem nicht entging, wie sich gewisse Gruppierungen bildeten und einige es ungemein darauf anlegten, mit rhetorischen Finessen zu glänzen, um bestimmten Personen vorgestellt zu werden.
Nikolai trat zu ihm. »Was ist, Robert. Gefällt es dir nicht?«
»Ich bin unsicher. Ein Zweisternegeneral und ein Oberst der Miliz in deinem Haus, dazu die höchsten Politfunktionäre Mittelsibiriens. Und ich ein Sträfling auf der Flucht. Mich braucht nur einer unter die Lupe zu nehmen, schon fliegt alles auf.«
»In meinem Haus bist du sicher.«
»Wie weit reicht dein Einfluss?«
»Sehr weit.«
»Und was ist. wenn dein direkter Gegner sich mit mir beschäftigt?«
»Wer ist denn mein direkter Gegner?«
»Der oberste Chef der Gruka.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe mittlerweile aus deinem Verhalten den Eindruck gewonnen, als bestünde zwischen dir und ihm eine Privatfehde, als würdet ihr euch sogar sehr gut kennen.«
Nikolai wippte auf den Fußspitzen, die Hände in den Hosentaschen. »Ja«, antwortete er gedehnt. »Du hast Recht. War kennen uns. Und es ist tatsächlich ein Krieg im Kleinen. Komm mit, ich stell' dich ihm vor.«
»Wie, ist er hier? «
»Natürlich. Wenn schon Krieg, dann auch auf allen Ebenen.«
Alexander lernte einen Mann kennen, körperlich war er eine imposante Erscheinung, was Statur, Haltung und die eisgraue Löwenmähne anbelangte, der noch einige Jahre älter war als Nikolai. Die beiden begegneten sich in einem äußerst ironischen Ton. Jedes Wort ein Stich, jede Reaktion eine Provokation.
»Iwan Gogol«, so stellte der Sibiriake seinen Gast vor. Alexander wurde als einer von Nikolais Mitarbeitern ausgewiesen, ein ehemaliger Wolgadeutscher, den es im Krieg als Kind auf der Flucht nach Karaganda verschlagen habe.
»Sie müssen ein besonderer Mitarbeiter sein«, verkündete Gogol in einem tiefen Bass. »Sie sind nämlich der einzige hier auf dem Fest.«
Alexander blieb einige Minuten bei Gogol stehen, der ihn fragte, ob er als Wolgadeutscher sehr unter der Sowjetmacht und unter Stalin gelitten habe.
Das treffe zu, meinte Alexander. Aber die Lage habe sich gebessert, man akzeptiere die Deutschen wieder. Einige sprächen sogar davon, ihnen eine neue autonome Republik zuzuweisen.
Gogol war anderer Auffassung. »So weit sind wir noch lange nicht. Fehler eingestehen ward man nur dann, wenn es in die Politik passt und es ihr nützt. Aber Entscheidungen der Geschichte korrigieren, das bedeutet Einsicht. Nennen Sie mir bitte einen Politfunktionär, der menschliche Größe besitzt und einsichtig ist.«
Alexander wurde Zeuge, wie Gogol dem General der Miliz Nachhilfeunterricht gab, auf welche Weise man am besten gegen die Kriminellen vorgehen könnte, die Nikolais Fahrer erschossen und seine Tochter entführt hatten. Alexander verschlug es die Sprache. Falls Nikolais Einschätzung stimmte, dann hatte dieser Gogol die entscheidende Rolle bei dem Verbrechen gespielt. Und gab jetzt dem General Tipps und Hinweise - ein Gipfel an Kaltschnäuzigkeit, wie sie Alexander bisher noch nicht begegnet war.
Gogol aber war es nicht, der Alexander irritierte, sondern der Parteichef der KPdSU Mittelsibiriens, Urgan Besmertisch, zugleich auch Abgeordneter im Obersten Sowjet. Er und Rima, die dicke Kantinenwirtin aus Ust-Port, hätten ein ideales Paar abgegeben. Alles an Besmertisch präsentierte sich rund, aufgedunsen und überquellend. Sein Gesicht war ohne Falten und rosig, die Haut weich und quaddelig, die Glatze bis auf einen spärlichen Kranz in Höhe der Ohren spiegelglatt. Besmertisch verwickelte Alexander in ein Gespräch und wollte seinen bisherigen Werdegang in Erfahrung bringen,
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