Der König von Sibirien (German Edition)
müssen sie dich schützen, wenn du so mächtig bist?« Nikolai kaute auf der Unterlippe.
Der Tag meldete sich, inzwischen war es zehn am Morgen. Die im Osten aufgehende Sonne schickte schräge Lichtbündel durch die Taiga, die vom glitzernden Schnee millionenfach reflektiert wurden, und ließ die Straße vor ihnen brennen. Nikolai wurde immer nervöser. Jede Minute warf er einen Blick auf seine Uhr, und anschließend schaute er schräg nach oben aus dem Fenster, um den Hubschrauber zu orten.
Drei Stunden waren sie unterwegs, als der Fahrer des Jeeps bremste. Mitten auf der Straße stand breitbeinig der Hubschrauberpilot und winkte.
»Und, was ist?« Nikolai ging auf den Mann zu, aber dessen bedrückte Mimik war Antwort genug. Wortlos drehte er sich, stieg über einen Wall aus Schnee und stapfte einige Meter in den Wald hinein. Die Leichen zweier Männer lagen dort. Erschossen, Aufsetzschuss, sofortiger Exitus. Bei einem fehlte der halbe Schädel.
»Diese Schweine.« Nikolai ballte die Fäuste, und in seinen Augen war ein Blick, der Alexander angst machte. Wie ein in die Enge getriebenes, wildes Tier, das sich verteidigte und ... zum Töten ansetzte. Bereits zwei Sekunden später gab sich der Ältere wieder gelassener.
»Woran hast du die Stelle erkannt?« wandte sich Nikolai an den Piloten.
»Ein Lkw ist ausgebrannt und liegt einen halben Kilometer weiter oberhalb. Er qualmte noch, als ich ihn bemerkte.«
»Und die Ladung? «
» Verschwunden.«
»Was ist mit den anderen Fahrern?«
Der Angesprochene zuckte mit der Schulter.
Gemeinsam mit einem von Nikolais Leibwächtern lud der Pilot die Toten in den Hubschrauber.
Nikolai schritt derweil mit Alexander und den Begleitpersonen aus dem Wolga langsam die Strecke ab bis zu dem ausgebrannten Lkw. Er hatte keine Reifen mehr, nur noch Metallringe über den Felgen. Das Fahrerhaus war verkohlt, die Aufbauten ein Gerippe aus verbogenen Rohren, von der ursprünglichen Farbe nichts mehr zu erkennen. Minutenlang blieben sie vor den Überresten stehen und sprachen kein Wort.
Langsam umrundete Nikolai das deformierte Etwas, als hoffte er, einen Hinweis zu finden. Wieder am Ausgangspunkt angelangt, sagte er zu Alexander: »Einer muss es ihnen verraten haben.«
»Aus euren Reihen?«
Nikolai starrte den Jüngeren an. »Sonst gibt es keine Möglichkeit. All unsere Fahrten werden geheim gehalten, nur wenige wissen Bescheid. Aber dieser Überfall war von langer Hand geplant.«
»Was hatten die Wagen geladen?«
»Zwei waren voll mit Lebensmitteln, einer mit Fernsehern und Elektroartikeln für den Haushalt.«
»Und der vierte?«
Nikolai zögerte. Erst als er sich abwandte, antwortete er: »Gerätschaften für ein Krankenhaus, darunter eine amerikanische Herz-Lungen-Maschine und äußerst teure Medikamente gegen Leukämie aus der Bundesrepublik, Wert insgesamt mehr als drei Millionen Rubel. Alles weg. Und die in Mirny brauchen die Sachen doch so dringend.«
Auf der Rückfahrt wieder zuerst nur Schweigen. Nikolai, der sich in eine Ecke drückte, kämpfte mit sich und schien eine Entscheidung zu fallen.
»Alexander, das ist die Kehrseite unserer sibirischen Welt. Wir versuchen einigermaßen mit den Schwierigkeiten zurechtzukommen, die Leute arbeiten mehr als sie müssten - und der Lohn? Die Grukaverbrecher passen unsere Ladungen ab, töten die Männer und verschwinden.«
»Was ist mit den beiden anderen Fahrern?«
»Ich nehme an, man hat sie gefangen genommen.«
»Gab es keine weiteren Begleitpersonen?«
Nikolai reagierte nicht.
»Ich habe dich was gefragt, gab es keine ...«
»Doch, meine Tochter«
Und die Gruka reagierte schnell. Noch bevor ihr Jeep vor Nikolais Wohnsitz zum Stillstand gekommen war, stürmte ein Mann aus dem Haus. »Das ging vor zwei Stunden bei uns ein.«
Nikolai riss ihm den Zettel aus der Hand und las. Sein Gesicht war ohne Leben, wie aus Stein. »Zwei Millionen Dollar fordern sie«, presste er zwischen steifen Lippen hervor.
Alexander warf einen Blick auf die Nachricht. »Bis wann?«
»Innerhalb von drei Tagen.«
»Nikolai, kannst du das arrangieren?«
Der Sibiriake drehte sich ihm zu, doch Alexander hatte das Gefühl, als sähe er ihn nicht. Zärtlich war Nikolais Stimme, als er antwortete: »Für meine Tochter kann ich alles arrangieren.«
Dann hatte er es eilig, ließ sich mit Irkutsk verbinden und sprach lange mit einem guten Bekannten, wie er sagte. Anschließend rief er in Wladiwostok an und kurz darauf in Tokio. Dort war es mitten
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