Der König von Sibirien (German Edition)
einige und sehr viele im Bereich Südsibiriens, besonders nahe dem chinesischen Grenzraum.«
»Richtig. Nicht zu vergessen die vier auf Sachalin und die drei am Ochotskischen Meer. Alexander, das hier sind alles geheime militärische Anlagen. Die im dünn besiedelten Grenzraum zu China sollen ein Gegenpotential bilden, weil man irgendwann von den Schlitzaugen einen größeren Angriff erwartet. Guter Kommunist gegen schlechten Kommunisten.«
»Aber auch an der afghanischen Grenze ist man aktiv geworden.«
»Und gegenüber dem Iran. Das ist nicht mehr auf der Karte verzeichnet. Allerdings spielen da andere Gründe mit hinein. Die in Moskau haben große Angst vor den Muslimen und befürchten, dass es zu einer Verbrüderung zwischen den südlichen Turkrepubliken unserer Union und den Glaubensgenossen auf der anderen Seite kommen könnte.«
Alexander, der sich an ähnliche Worte von Nikolai erinnerte, schaute den alten Vertrauten von der Seite an. Ein regungsloses Gesicht, nur die Augen verrieten eine gewisse Konzentration. »Leonid, wie bist du an diese Karte gekommen.«
»Von einer anderen abgemalt, die weit größer ist als dieser Tisch.«
»Und die Original karte?«
Leonid schaute zum Fenster hinaus. »Also gut. Ich halte einem Offizier zur Flucht verholten. Einem sehr hohen Offizier.«
»Nach Japan?«
»In den Westen. Über die türkische Grenze. War ein Kinderspiel.«
»Und das hier hat er dir zum Dank vermacht.«
»Ich habe ihm als Original äh ... abgenommen. Was wollen die denn im Westen damit anfangen?« Leonid grinste. »Er wird genügend geheimnisvolle Dinge im Kopf haben und an den CIA weitergeben.« Und als Alexander nichts sagte: »Über zwei der Einrichtungen konnte ich schon etwas in Erfahrung bringen.« Leonid deutete auf einen Punkt nahe der chinesischen Grenze und einen an der Küste des Ochotskischen Meeres. »Wenn du Interesse hast, werde ich es dir erklären.«
Am Nachmittag führte Alexander seinen Gast zu Nikolai, der in einem Lehnstuhl saß und hinaus in die Taiga schaute. Leonid erschrak. So hatte er den Sibiriaken, dem er mehrmals begegnet war, nicht in Erinnerung Alexander ließ die beiden Männer allein, die sich einiges zu erzählen hatten. Und das taten sie ausgiebig. Zufrieden waren ihre Gesichter, als sie sich später trennten. Nikolai wusste, Alexander würde in Leonid einen zuverlässigen Vertrauten haben, so wie er in Minsk.
Die Hochzeit war eine Feier der Freude and der unterschwelligen Trauer. Nikolai empfand das Fest als vorgezogene Beerdigung. Nur noch zwei oder drei Wochen gaben ihm die Ärzte, sein Zustand würde sich täglich verschlechtern. Gleichwohl erschien er gelöst und ausgelassen wie selten in den Wochen zuvor. Mit Medikamenten vollgepumpt, bemühte er sich, seinen Zustand zu verbergen, und wagte sogar einen Tanz mit seiner Tochter. Danach saß er ermattet auf einem Stuhl, sah dem Geschehen nur noch zu oder lauschte mit geschlossenen Augen der schwermütigen Musik.
Obwohl die Köche sich alle Mühe gaben und exquisite Gerichte auf den Tisch brachten, darunter eine Fischplatte mit Lachs in allen Variationen, blieb die Stimmung gedrückt. Als sich die Gäste am Abend verabschiedeten, ahnten viele, dass sie Nikolai nicht wieder sehen würden.
Alexander und Larissa konnten nicht einschlafen. Sie kuschelte sich an ihn, er legte einen Arm um ihre Schulter. Beide hingen ihren Gedanken nach, bis Larissa sagte: »Ich dachte bisher, eine Hochzeitsnacht sei etwas Besonderes.« Sie starrte gegen die Decke. »Mein Prinz trägt mich über die Schwelle, legt mich auf das Bett, küsst mich und liebt mich. Und dann versinken wir in einer Woge aus Zärtlichkeit.«
»Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche. Aber mir ist nicht danach.«
»Mir auch nicht«, gab sie zu. »Ich muss immerzu an meinen Vater denken und an die Zeit danach.«
»Du befürchtest, ich könnte den Bund nicht leiten, Nikolai nicht
ersetzen?«
»Das meine ich nicht. Ich habe Angst, allein zu sein.« Alexander merkte, dass sie weinte. »Du hast doch mich. Ich bin auch allein, seit vielen Jahren schon.«
»Das klingt so, als hätte es dir nichts ausgemacht.«
»Es ist eine Frage der Gewohnheit.«
Larissa versuchte in seinem Gesicht zu lesen. »Wie ich dich kenne, ist es vielleicht doch eher eine Frage, wie intensiv du dir das einreden kannst.«
Als er daraufhin nicht antwortete, sprach sie leise weiter: »Meine Mutter habe ich nie kennengelernt, und mit meinem Vater geht meine Familie und meine
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