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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Geborgenheit dahin. Und mein Zuhause. Ich hätte so gerne eine Familie und ein Zuhause.«

    Viele Freunde, Bekannte und sogar Wildfremde kamen in den darauf folgenden Tagen zu einem letzten Besuch. Am Ende der Woche bat der Sibiriake Alexander, er möge ihn in seine Jagdhütte bringen. Zuerst versuchte Alexander, ihm diese Idee auszureden, nachdem Nikolai ihm jedoch seine Gründe genannt hatte, willigte er ein.
    Larissa durfte nicht mitfahren, ihr Vater bestand darauf. Aber er küsste sie lange. Und er drückte sie so voller Zärtlichkeit, ein Versprechen auf ewig. Tränen liefen ihm über die Wangen, als sie ihm sagte, sie sei schwanger. In gespieltem Ernst tadelte er: »Deine Großmutter wäre an dieser frohen Botschaft, so kurz nach der Hochzeit, bestimmt gestorben.«
    In der Jagdhütte, gut fünfzig Kilometer von seinem Haus entfernt, bat der Sibiriake Alexander, er möge bitte Feuer anmachen und Wasser für Tee aufsetzen. Anschließend saßen sich die beiden Männer gegenüber und schauten sich an, und in Nikolais Augen stand eine einzige Bitte und Aufforderung: Mach es gut! Mach es gut als Sprecher, und mach es gut als Ehemann und Vater.
    Als gäbe es keine Leukämie und keinen Tod, erzählten sie Erlebnisse aus ihrer Jugend und ihrer Kindheit. Nikolai vom ersten Versuch, als Fünfjähriger eine Kuh zu melken. Einen Tritt habe er erhalten und einen riesigen blauen Fleck. Alexander beschrieb die Kartoffelfeuer im Herbst, ein Überbleibsel aus Deutschland im fernen Sibirien, den beißenden Qualm und die tränenden Augen. Immer habe er sich die Finger und den Mund verbrannt, weil er zu gierig gewesen sei
    Nikolai ließ sein Leben vorbeigleiten, sprach von Ereignissen und Freunden und von seinen Feinden, mit denen sich Alexander nun auseinandersetzen müsse.
    »Achte auf Besmertisch, er ist listig und hinterhältig.«
    Alexander versprach es. »Du hast einen Feind vergessen.«
    »Gogol?«
    »Ja.«
    Nikolai neigte den Kopf, als würde ihm jemand etwas ins Ohr flüstern. »Gogol. Ich werde aus ihm nicht schlau. Wäre er wirklich mein Feind, dann lebte ich schon längst nicht mehr.«
    »Als du uns bekanntgemacht hast, hatte ich einen anderen Eindruck. Wie soll ich das verstehen?«
    Nikolai wollte nicht darüber sprechen, ihm war nach einem Wodka. Und während er langsam den Schnaps trank, lächelte er.
    »Eigentlich könnte ich zufrieden sein.« Er stellte das Glas ab. »Ich kann auf ein bewegtes und erfolgreiches Leben zurückschauen, auf eine Tochter, die mir sehr viel gegeben hat, und auf einen Schwiegersohn, dem ich vertraue. Weißt du, dass Vertrauen für mich das Wichtigste ist? Vertrauen bedeutet, sich auf jemanden verlassen zu können, sich bedingungslos in seine Hände zu begeben und zu wissen, man wird nicht enttäuscht. Und bei dir bin ich sicher, du wirst mich nicht enttäuschen, dafür kenne ich dich mittlerweile zu gut.«
    Alexander biss sich auf die Lippen, seine Augenlider zuckten.
    »Ich sehe, dass du um mich trauerst, und das macht mich glücklich.« Nikolai schmunzelte auf seine altbekannte Art. »Glaube mir, Trauer kann etwas sehr Schönes sein. Als ich um meine Frau getrauert habe, war das zugleich auch ein Glücksgefühl. Ich war glücklich, denn der Schmerz in mir zeigte mir deutlich, was sie mir bedeutet hatte. Je mehr man trauert, desto größer ist der Verlust. Und große Verluste entstehen nur bei großen Gefühlen. Weil ich das in deinem Gesicht sehe, bin ich froh.«
    Alexander nickte, ihm war nicht nach Reden.
    »Vergiss nie das Kraut der Bruderschaft. Es verbindet uns.«
    »Ich weiß.«
    Schließlich forderte Nikolai den Jüngeren auf, ihn zu verlasen. Alexander sträubte sich, doch Nikolai ließ nicht locker. In zwei Tagen solle er wiederkommen, dann habe er alles überstanden. Aber jetzt im Tod wolle er allein sein.
    »Alexander, ich habe noch eine Bitte. Wirst du sie mir erfüllen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Dann schneide mir ein Büschel Haare ab, lege es neben die von Rassul und Yokola und trage es stets bei dir.«
    Alexander suchte eine Schere. Beide Männer weinten. Alexander küsste Nikolai und umarmte ihn, bevor er sich endgültig verabschiedete.

    Zwei Tage später fuhren Larissa und Alexander zur Jagdhütte. Schon von weitem sahen sie, dass Nikolai auf sie wartete. In eine Decke gehüllt, hockte er auf dem Boden und hatte den Oberkörper an einen Baumstamm gelehnt. Auf den Oberschenkeln Tag ein Gewehr.
    Winkend lief Larissa auf ihren Vater zu. Aber Nikolai reagierte nicht.

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