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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Fleisch gedrungen war, bewegte er sich mit einer Schnelligkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte. Der Feind war zwar ausgemacht, aber er war schlau. Hatte er sich vorher informiert, wie man einen Bären verwirrt und tötet?
    Jewgenij trat geduckt auf das Tier zu, die rechte Hand mit dem blutbefleckten Messer weit von sich gestreckt. Die linke war jetzt auch frei und ohne Handschuh, den schleuderte Jewgenij dem Bären entgegen. Mit einer wischenden Tatzenbewegung verscheuchte dieser das lästige Hindernis, und schon wieder stach Jewgenij zu, diesmal in die andere Schulter.
    Der Bär brüllte vor Pein, richtete sich auf, entlastete dadurch die schmerzenden Schultern und kam auf den Hinterbeinen herangetappt. Aus dem weit aufgerissenen Maul drang ein dumpfes, ahnungsvolles Grollen. Noch zwei Schritte war das Tier von Jewgenij entfernt, der jetzt nicht mehr so groß und wuchtig wirkte, denn der Bär überragte ihn um Haupteslänge.
    Als wollte er Jewgenij umarmen, legte der Bär ihm die Tatzen auf die Schultern. Jewgenij stemmte sich dagegen und rammte ihm das Messer in die Brust, wieder und immer wieder. Aus dem Grollen wurde ein Röcheln, der Bär sackte zusammen und drückte Jewgenij mit seinem Gewicht nach unten. Vergeblich versuchte Jewgenij den braunen Koloss abzuschütteln, der schließlich auf ihm lag. Im letzten Reflex schlug der Bär sein Gebiss in Jewgenijs Hals. Es knackte für alle vernehmlich, fast gleichzeitig klatschten Kugeln in den massigen Rumpf, das Tier streckte sich und war tot.
    Die Jakuten bemühten sich, den Fleischberg von Jewgenij weg-zuzerren. Aber das ging nicht, denn im Todeskrampf hatte sich der Bär in den Mann verbissen. Als sie Jewgenij endlich frei hatten, hauchte er sein Leben aus. Sein Genick war gebrochen, und er war verblutet, denn der Bär hatte Jewgenij auch noch die Kehle durchgebissen.
    Gogol drängte sich nach vorn und schob mit wilden Bewegungen die Gaffer zur Seite. Als er seinen Sohn vor sich liegen sah, drang ein unmenschlicher Schrei aus seinem Mund. Er ließ sich auf den Boden sinken und umfasste Jewgenijs Kopf. Immer wieder streichelte er ihn. Dazu flüsterte er zärtliche Worte, die man dem Mann nicht zugetraut hätte. Aber Jewgenij würde nie mehr antworten.
    Als erwachte er aus tiefem Schlaf, straffte sich Gogol, legte den Kopf seines Sohnes sanft auf die Erde, küsste und umarmte ihn ein letztes Mal und erhob sich schwerfällig. Hoch aufgerichtet verließ er den runden Platz.
    Die Jakuten umringten Alexander. Geriak, einer der Jakutenführer, richtete in seiner Muttersprache einige Worte an die Versammlung. Wie auf Kommando verneigten sich alle vor Alexander. Und der trat zu dem toten Jewgenij, sah ihn lange an und verneigte sich ebenfalls.

    *Nikolai nahm viele Medikamente, um die Leukämie zu bekämpfen, die Anzahl der Leukozyten drastisch zu reduzieren, und wusste doch, all die Mittel wurden ihm nicht mehr helfen, sondern seine Tortur höchstens verlängern. Den Schmerz betäubte er auf Anraten des Arztes, der ihn jeden zweiten Tag besuchte, mit Morphium. Alexander und Larissa beschlossen kurzfristig, zu heiraten, Nikolai sollte ihr Fest noch erleben. Sie planten die Feier in kleinem Rahmen, fünfzig Gäste wurden eingeladen.
    Zwei Tage vor dem Ereignis stand er vor der Tür. Groß, mit schwarzen Haaren und einem riesigen Schnurrbart. Als Leonid, der Brigadier von Station 22, Alexander auf die Schulter klopfte, zuckte dieser zusammen.
    »Ich will übermorgen heiraten. Halt dich also bitte etwas zurück.«
    Nach der übermütigen Begrüßung gingen sie in das Kaminzimmer, um einander zu berichten, was ihnen seit ihrer Trennung widerfahren war, tranken Wodka und feierten ihr Wiedersehen. Als Alexander sich so viele Jahre nach seiner Flucht bei Leonid für die damalige Hilfe bedanken wollte, schnitt dieser ihm einfach das Wort ab.
    Zwei Stunden später kam der Georgier überraschend auf ein anderes Thema zu sprechen. »Du erinnerst dich doch noch an unseren Jagdausflug.«
    Alexander nickte.
    »Unsere unfreiwillige Festnahme hat mich sehr beschäftigt. Was macht das Militär in dieser gottverlassenen Gegend? Kein Feind weit und breit.«
    Leonid griff in seine Brusttasche und zog ein Blatt hervor. Er faltete es auseinander, glättete es und legte es auf den Tisch. »Das hier haben wir nahe dem Witim gesehen.« Leonids Finger wanderte zu einer Stelle östlich des Baikalsees. »Fällt dir an der Verteilung der Punkte etwas auf?«
    »Im flachen Land nichts, im Gebirge

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