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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Aufstehen, vor dem Weg zur Arbeit, vor dem Mittagessen, vor dem Weg zurück, vor dem Abendessen. Und Jedes Mal wurden die Gefangenen durchsucht. Neben Alexander saß ein Mann ohne Zähne und schlürfte Suppe aus einem Aluminiumteller. Anschließend kaute er verbissen auf dem Brot herum.
    »Sie wollen, dass wir die Würde verlieren«, nuschelte er. »Die Würde ist das Vornehmste beim Menschen. Wenn wir keine Würde mehr haben, dann sind wir schwach und ihnen ausgeliefert. Deshalb wollen sie uns die Würde nehmen.«
    Alexander schaute den Mann an, doch der tat so, als beachte er ihn nicht.
    Alexander brachte sein Geschirr - Löffel und Gabeln waren gleichfalls aus Aluminium, Messer gab es aus verständlichen Gründen nicht - zurück und schob es unter einer hochgestellten Glasscheibe hindurch. Wieder im Schlafsaal, setzte sich Wanja, der Politische, neben ihn. Wie er es nur aushalten könne, in diesem Land zu leben, fragte er Alexander. Der sagte, er habe sich darüber noch keine Gedanken gemacht, denn ihm sei es bisher nicht schlecht gegangen.
    »Mich haben sie nach Artikel 70 des Strafgesetzbuches wegen antisowjetischer und antisozialistischer Aktivitäten verurteilt. Und weißt du, was ich gemacht habe? Einem Bekannten ein ausländisches Buch besorgt. Zwölf Jahre haben sie mir gegeben. Zwölf Jahre. Für jede Seite zehn läge <
    »Und wie lange musst du noch absitzen?«
    »Vier, wenn es gut geht und mir nicht irgendein Natschalnik noch eine Zugabe verpasst.«
    »Wie ist denn der hiesige Natschalnik?«
    Wanja zog die Schultern hoch. »So, wie alle Lagerchefs nun mal sind: Viehtreiber.«
    Sergej, ein Bett weiter, verachtete die Sowjetunion und wollte nicht länger in dem Land bleiben. Er habe schon viele Ausreiseanträge gestellt. »Als ich in der Fabrik, in der ich arbeitete, dann aus Wut eine Maschine zerstört habe, wurde ich zu zehn Jahren verurteilt. Ich hatte mich am sozialistischen Eigentum vergriffen. Etwas Schlimmeres kann es nicht geben.«
    Vadim Sonnenberg war Jude. In Israel zu leben sei sein Traum. Deshalb habe er in der Nähe von Odessa am Schwarzen Meer ein Schiff gekapert, um durch die Dardanellen in die Freiheit zu gelangen. Natürlich sei er erwischt worden. Sie erwischen jeden, sagte Vadim. Und jetzt müsse er dreizehn Jahre in einem Lager leben, ohne seine Frau und die Kinder, die noch nicht einmal wüssten, wo er überhaupt sei. Das bedrücke ihn besonders.
    Bis tief in die Nacht, längst war das Licht gelöscht worden, unterhielten sich die Häftlinge. Neuankömmlinge seien, so gab einer zu, die einzige Abwechslung und auch die einzige Möglichkeit, ungefiltert Nachrichten von draußen zu erfahren.
    Alexander erhielt nach und nach Einblick in Schicksale, die im Vergleich zu seinem wesentlich härter und schrecklicher waren. Und zehn Jahre, so trösteten ihn einige, seien doch wirklich kaum der Rede wert.
    Irgendwann rollte Alexander sich in die Bettdecke, drehte sich zur Fensterseite, befühlte die Rippen der Heizung. Er zog sich in seine Gedankenwelt zurück und flüchtete aus Perm 35 zu Hellen.

    »Sag mal, Alexander, ich habe noch nie blaue Augen mit einer solchen Wärme gesehen wie die deinen.«
    »Du meinst nur, sie seien warm.« Sie setzten sich auf eine Bank.
    »Nein, sie sind es wirklich.« Hellen folgte mit dem Zeigefinger der Kontur einer Augenbraue.
    »Vielleicht, weil ich in dich verliebt bin.«
    »So? Du bist in mich verliebt?« Sie lächelte ihn an.
    »Ja.«
    »Und seit wann?«
    Er zuckte mit der Schulter und streichelte ihr Kinn.
    »Ging es schnell?«
    »So schnell, wie man ein Stück Schokolade angeboten bekommt. Und wie ist es mit dir"«
    Hellen lehnte sich an seine Schulter und schaute auf die Moskwa. Auch heute an diesem trübkalten Oktobertag waren sie die einzigen Spaziergänger.
    »Mir geht es ebenso.«
    Er drehte ihren Kopf zu sich und sah sie an. »Tatsächlich?«
    Sie küsste ihn. »Eigentlich dürfte ich dir so etwas nicht sagen. Immerhin bin ich zwei Jahre älter als du, also schon eine reife Frau. Außerdem habe ich mir einen Schnupfen geholt.«
    »Ich werde das Bild nie vergessen: Du in der Universität, durchnässt und mit geröteten Augen. Es ist für mich ...« Er schluckte, stand auf und zog sie mit sich hoch. Eng umschlungen gingen sie weiter und schwiegen lange. Der Kremlkai Tag hinter ihnen, als Hellen stehen blieb.
    »Ich habe Angst. Alex. Wegen unserer Zukunft.«
    »Was ist mit unserer Zukunft?«
    Sie antwortete nicht sofort. »Hast du dir nicht auch schon

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