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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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antisowjetisch bin ich, weil ich nicht hinnehmen kann, dass dieses Land so viele Menschen den Tod gekostet hat.«
    »Wie sieht es im Schizo aus?«
    Alexander rührte in der Tasse, während Gregori von seiner Zelle erzählte. Sie sei in einem Holzbau untergebracht, fast wie eine Kirche, sein Aussehen lasse nicht vermuten, was sich drinnen abspielte. Dicke Eisentüren, mit Blech beschlagen, riegelten die Zellen hermetisch ab.
    »Man kann nicht durch schauen, nichts hören, und wenn sich der Schlüssel im Schloss dreht, dann zuckst du zusammen, weil du denkst, es ist das Ende.«
    Gregori beschrieb die gekachelten Zellen, für zwei Personen etwas mehr als einen Meter breit und drei lang. Die Wände seien feucht, die Betten tagsüber hochgeklappt und festgehakt. In der Mitte stehe eine Holzbank, und an der Decke hänge eine Kette, an die man die Insassen fesselt, wenn sie renitent seien. Er, Gregori, habe mit seinen Handschellen drei Tage an der Kette gehangen. Ratten seien ihm über die Füße gelaufen, denn es gäbe keinen festen Boden in der Zelle, sondern lediglich gestampfte Erde. An der Stirnseite befinde sich ein kleines Lichtloch.
    »Keine Heizung, nur ein dickes Rohr, durch das ab und zu lauwarmes Wasser fließt, damit du nicht erfrierst. Und einen Blecheimer gibt es als Toilette. Wenn du brav bist, dann darfst du sogar in der Zelle arbeiten. Aber mich haben sie, als ich schließlich wollte, nicht gelassen. Ohne Beschäftigung zu sein ist das Schlimmste, was dir passieren kann.«
    Als Alexander seine Arbeit aufnahm, er war der Schlosserei zugeteilt und hatte Blech zu Zylindern zu biegen, die später einmal Abfalleimer werden sollten, war er wegen Gregoris Erzählung bedrückt. Noch bedrückter wurde er am Abend, als Gregori ihm einen Mithäftling vorstellte. »Das ist Janis. Schau dir mal seine Hände an.« Alexander betrachtete sich das verwachsene Etwas. Dick und verwuchert die Gelenke, mit roten Malen, und die Hände standen seltsam ab und waren in sich verdreht.
    »Erzähl es ihm«, forderte Gregori Janis auf. »Die einfachste Sache der Welt. Man hat mir die Hände gebrochen. Mehrmals.« »Und warum?«
    »Weil ich mich gesträubt habe, mich kahl scheren zu lassen.«
    »Das war alles?«
    Janis nickte. Alexander schaute verstohlen zu einem der Wachposten, der sie argwöhnisch beobachtete. Er war nicht bewaffnet, abgesehen von dem obligatorischen Stock, den er in der Hand wippte, und er erweckte auch keinen allzu gefährlichen Eindruck. Gut, sie schrien und fuchtelten wie wild, wenn man sich nicht schnell genug bewegte oder eine Arbeit falsch verrichtete. Dann konnte auch schon mal der Stock auf einen niedersausen, mehr hatte er bisher noch nicht mitbekommen.
    »In welchem Lager sind wir eigentlich?«
    »Das hier ist die schwarze Seele des Teufels.«
    »Aber wir leben doch im 20. Jahrhundert, unser Land ist das mächtigste auf der Erde.«
    Gregori lächelte sonderbar. »Die Schlange häutet sich, aber die Natur bleibt dieselbe.«

    Normalerweise wurden sie durch eine harte Kommandostimme geweckt, aber an diesem Morgen plärrte schon sehr früh laute Musik aus dem Lautsprecher an der Decke des Schlafsaals.
    »Ist es bereits sechs?« wollte Alexander wissen.
    »Erst halb.«
    »Warum wecken sie uns denn jetzt schon?«
    Ohne weiter darüber nachzudenken, standen die Männer wie gewohnt auf, gingen in den Waschraum und zogen dann ihre Sachen an. Einige kleideten sich auch zuerst an, denn sie standen, trotz aller Proteste der übrigen Insassen, mit dem Wasser auf Kriegsfuß. Wieder andere waren skeptisch, weil sie nicht wussten, wo das Leitungswasser herrührte. Einer meinte sogar, man versetze es mit Bakterien und Bazillen oder mit sonst was, um sie krank und schlapp zu machen. Ihm seien schon die Haare ausgefallen.
    Während Alexander sich die Zähne putzte, wünschte ihnen eine freundliche Stimme einen schönen Tag und die Übererfüllung des Plansolls, auf das der Sozialismus endlich siege.
    »Wieder ein Appell an die Produktivität«, vermutete Dimitri, der orthodoxe Priester. Aber er hatte unrecht.
    »Wie uns soeben gemeldet wurde«, klang es gutgelaunt aus dem Lautsprecher, »ist vor wenigen Stunden der schlimmste Feind des Sozialismus und der größte imperialistische Agitator aller Zeiten erschossen worden. Der amerikanische Präsident John Fitzgerald Kennedy, der auf Besuch in Dallas, Texas, weilte, um wieder eine seiner Hetzreden zu halten, die nur dazu dienen, den Weltfrieden zu stören, erlag in einem

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