Der König von Sibirien (German Edition)
Alexander immer mit Blick zum Boden, wo sich das Profil, bei jedem zweiten Lkw war es zu finden, eingedrückt hatte. Plötzlich bückte er sich und tastete den Untergrund ab.
»Hier, fällt dir was auf?«
Leonid besah sich die Stelle. »Ja, der Eindruck ist anders.« »Ein Stollen ist gespalten oder hat eine tiefe Kerbe. Und zwar der vom rechten Vorderreifen«, behauptete Alexander. »Wie kommst du darauf?«
Alexander richtete sich auf. »Der Lkw hat an dieser Stelle den Waldweg verlassen und ist eine Linkskurve gefahren. Und das
hier ist der äußerste Eindruck. Der kann nur vom rechten Vorderreifen stammen, der muss nämlich den längsten Weg machen.«
»Klar, leuchtet ein.«
»Jetzt müssen wir nur noch den Lkw finden, dessen ...«
»... rechter Vorderreifen einen geteilten Stollen hat.«
Als Alexander ihn nicht mehr hören konnte, murmelte Leonid: »Ich glaube, es gibt davon eine ganze Menge.«
Leonid organisierte die Suche. Jeden, den er damit beauftragte, wählte er sorgfältig aus und besprach sich mit ihm unter vier Augen. Kein Wort zu einem Dritten durfte er verlieren, falls er das Fahrzeug entdeckt haben sollte. Das mussten sie alle versprechen.
Alexander hatte einen schweren Weg vor sich, aber Gogol empfing ihn sofort. In seinem Gesicht stand die Schadenfreude eines vereinsamten alten Mannes zu lesen. »Jetzt bist du auch allein.«
Alexander brauchte sich nicht zusammenzureißen, in ihm waren nur noch Kälte und Wut und Gefühllosigkeit. Er hätte sich einen Arm abtrennen können, ohne das Gesicht zu verziehen.
»Gogol, als dein Sohn starb, habe ich mich vor ihm verneigt, weil ich Achtung vor dem Leben und vor ihm hatte. Ich meine, er hat den Bären bezwungen, und er hätte es verdient gehabt, König von Sibirien zu werden.«
»Das sagst du nur, weil du etwas von mir willst.«
»Nein, es ist mein Ernst.«
Gogol glaubte ihm nicht.
»Ich respektierte zumindest dich und deine Trauer um deinen Sohn«, sprach Alexander weiter. »Nachvollziehen kann ich erst jetzt, wie es dir wirklich ergangen ist.«
»Kannst du nicht. Warum bist du gekommen?«
»Um mit dir einen Waffenstillstand zu schließen.«
»Niemals. Zuerst dein Schwiegervater, er hat mich gehindert, der Größte zu werden, und jetzt du.«
»Gogol, ich bin nicht dein Feind. Du kennst ihn noch nicht einmal.« Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Grauhaarigen, der sehr gealtert war und nicht mehr die Körperspannung aufwies wie noch vor einigen Jahren.
»So, ich kenne ihn nicht? Dann klär mich auf.«
»Bietest du mir keinen Platz an.«
»Setz dich.«
»Gogol, du und ich. wir können uns ausrechnen, einschätzen. Du hast Menschen töten lassen, mich über andere bekämpft, aber nie persönlich angegriffen. Nikolai und ich haben auch deinen Sohn nie angegriffen. Zwischen uns hat immer eine Grundfairness existiert, eine Art Respekt. Warum das so ist - ich weiß es nicht.«
Gogol biss sich auf die Lippen.
»Aber die Zeiten haben sich geändert. Unser Mittelsibirien wird überflutet von Verbrecherbanden, die aus dem Westen kommen. Mich haben sie aufgesucht und von mir verlangt, ich solle ihnen zehn Prozent meines Umsatzes abliefern.«
»Geschieht dir recht.«
»Du hast das nie von mir verlangt, auch nicht von Nikolai.« Erneut biss sich Gogol auf die Lippen.
»Wenn es diesen Kerlen gelingt, uns unterzukriegen, dann haben sie das Land in der Hand, dann errichten sie ein Netzwerk aus Korruption, Erpressung, Mord und Totschlag.«
»Der Staat wird schon mit ihnen fertig.«
»Er ist ja nicht einmal mit dir und der Gruka fertig geworden.«
Gogol setzte sich gerade, darauf war er stolz.
»End er wird erst recht nicht mit der neuen Generation von Verbrechern fertig, die eine ungeahnte Brutalität an den Tag legen. Ich habe ihr Angebot abgelehnt, und ohne Vorwarnung ist meine Familie umgebracht worden. Ohne Vorwarnung.«
Alexanders Stimme war leiser und schneidender geworden. Weiß zeichneten sich ehe Knöchel seiner geballtem Faust ab.
»Dein Problem.« Aber Gogols Ablehnung klang schon etwas gemäßigter.
»Meine Frau und meine kleinen Kinder sind umgebracht worden. Gogol, hast du schon mal ein kleines Kind getötet? Könntest du ein kleines Kind toten, etwa das deines größten Feindes?«
Der Alte schaute Alexander an und schüttelte den Kopf.
»Gogol, du und ich, wir müssen zusammengehen, sonst haben wir keine Chance.«
Der Alte zeigte keine Reaktion.
»Du trägst die Verantwortung gegenüber deinen Leuten. Entweder
Weitere Kostenlose Bücher