Der König von Sibirien (German Edition)
lieferst du sie ans Messer, was ich nicht glaube, oder sie liefern dich ans Messer. Und zwar dann, wenn sie überlaufen zu den neuen Chefs.«
»Tun sie nicht.«
»Zwei oder drei deiner Männer werden auf bestialische Art umgebracht, schon bist du ohne Armee.«
Gogol rieb sich die Nase, und mit der anderen Hand fuhr er sich durchs Haar.
»Gogol. Ich bin für sie kein Ziel mehr. Mir können sie nichts mehr anhaben, mir haben sie alles genommen.«
»Du lebst noch.«
Alexander verzog das Gesicht. »Ich bewege mich noch, aber ich lebe nicht mehr, Gogol.«
Irritiert sah ihn der Graukopf an. »Wie soll ich das verstehen?«
»Mich werden die Rache und die Wut töten. Aber vorher«, Alexander zitterte am ganzen Körper, seine Hände krallten sich in die Lehne, sein Kopf lief rot an, »aber vorher werde ich sie finden.«
Gogol erschrak vor Alexanders Reaktion. »Was willst du wirklich von mir?«
»Waffenstillstand.«
»Und was noch?«
»Deine Hilfe.«
»Wie kommst ausgerechnet du auf die Idee, ich würde dir helfen?«
»Aus dem gleichen Grund, warum du Nikolai geschont hast. Du hättest genügend Gelegenheiten gehabt, dich an ihm für den Tod deines Vaters zu rächen.«
»Du weißt davon?« fragte Gogol erstaunt.
»Ja. Ich weiß auch, was du getan hast.«
Gogol ging über die Bemerkung hinweg. »Warum hätte ich Nikolai umbringen sollen?«
»Weil er dich immer an die Vergangenheit erinnert hat und er dir im Weg stand.«
Gogol überlegte. »Wenn es so ist, dam nenne mir auch den Grund, warum ich es nicht getan habe.«
»Du kennst ihn. Nikolai aber hatte davon keine Ahnung.«
»Was ... was willst du damit sagen?«
»Ich weiß, was in dir vorgegangen ist. Und du weißt, dass ich es weiß. Ich bitte dich, hilf mir. Es ist deine Pflicht, Nikolai gegenüber.«
Alexander wusste die Geschäfte bei Leonid und Minsk in guten Händen, deshalb war er in den folgenden lagen oft unterwegs. Geriak, den Jakutenführer, suchte er zu Hause auf. Er kam unangemeldet, und Geriak fühlte sich verpflichtet, sofort ein kleines Willkommensfest zu arrangieren. Falls Alexander sich weigere, dann könne er sofort wieder nach Hause fahren.
»Ich möchte mit dir reden.«
»Ich weiß. Aber einen König empfängt man standesgemäß. Und dabei reden wir.«
Am Abend versammelten sich bei Geriak die Spitzen der Jakuten, etwa fünfzehn an der Zahl. Vor Geriaks Lehmhütte brannte ein großes Feuer und daneben lagen mehrere tote Tiere: Füchse, Hasen, ein neugeborenes Ren und einige Igel. Die Jakuten rollten die Tiere, so wie sie waren, in Lehm ein und legten sie in die Glut. Dann kreiste der Wodka.
»Wir trauern mit dir.«
»Danke.«
»Und wir helfen dir, deine Familie zu rächen.«
»Wenn zwei Jahre Gefängnis eine Hand kosten, was kostet dann ein Mord?«
»Den ganzen Körper.«
»Das ist gut. Und der Körper eines Kindes, was kostet er?«
»Ewiges Feuer, bis auch die Seele verbrannt ist. Sag mir, was wir Jakuten machen können.«
Alexander starrte in die Glut und auf die Lehmklumpen. »Ich habe eine vage Spur. Falls sie zum Erfolg führt und ich einen der Verdächtigen erwische, wie kann ich ihn zum Sprechen bringen?«
Geriak beriet sich mit seinen Landsleuten auf jakutisch. »Bring ihn zu uns.«
»Und ihr werdet alles aus ihm herausbekommen?«
»Ja.«
»Was werdet ihr mit ihm machen?«
Wieder beriet sich Geriak mit den anderen Männern. »Wir haben einen alten Brauch. Schon lange wird er nicht mehr von uns ausgeübt, weil ihr uns die Zivilisation gebracht habt. Aber der Brauch existiert noch. Der Betreffende wird reden.«
Mehr war aus Geriak nicht herauszubekommen. Das Thema war beendet, sie unterhielten sich über andere Dinge.
Später fischten die Jakuten die Lehmklumpen aus dem Feuer. Mit ihren Messern brachen sie sie auf, und so wie der Lehm aufbrach, brachen auch die Körper auf. Fell, Haut und Stacheln der Igel waren im Lehm festgebacken, das Innere Tag frei.
Alexander verabschiedete sich am nächsten Morgen und bedankte sich für die Gastfreundschaft.
»Was ist eigentlich aus dem Mann geworden, den ihr seinerzeit mit einer Kette im Wald festgebunden habt.«
»Er hat seine Schuld eingestanden.«
»Inwiefern?«
»Als wir ihn aufsuchten, waren nur noch seine Hand und der Unterarmknochen in der Kette.« »Ist er etwa ...«
»Nein. Das hat die Taiga getan.«
Wieder zu Hause, wieder an den Gräbern. Stundenlang stand Alexander davor, und Leonid, der ihn beobachtete, bekam Angst vor der Entwicklung, die sein
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