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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Freund durchmachte. Schweigsam war er geworden, das konnte er noch verstehen. Aber dass er mit keinem Wort seine Familie erwähnte und lediglich an den Gräbern redete, wie er an den Lippenbewegungen erkennen konnte, das verwirrte ihn. Wenn Leonid von Larissa und den Kindern anfing, weil er dachte, der innere Druck müsse aus Alexander entweichen und er brauche jemanden, mit dem er sich aussprechen könne, dann legte der ihm jedes Mal eine Hand auf den Arm. »Später«, sagte er nur, »später, wenn alles vorbei ist. Dann habe ich auch Zeit zu trauern.« An diesem Tag gab es zwei Ereignisse, über die sich Alexander freute. Zu erkennen war das nur am leichten Zucken seiner Mundwinkel. Zuerst erhielt er die Nachricht, der Lkw sei gefunden worden. Der Gipsabdruck, den man vor der Jagdhütte angefertigt habe, passe exakt auf den Reifen. Der Fahrer sei schon in Begleitung von drei Männern auf dem Weg nach Kirensk. Man habe ihn noch nicht verhört, und er wisse auch nicht, um was es gehe. Er sei der Meinung, man würde ihm ein gutes Angebot machen für einen besonderen Job. Gegen Abend müsse er eintreffen.
    Wenig später kam Besuch. Gogol. Ohne Alexander zu begrüßen, steuerte er gleich auf das Kaminzimmer zu
    »Ich habe es mir überlegt.«
    »Dann sag mir deine Antwort.«
    »Zuerst will ich Näheres über deine Andeutungen wissen. Was gab es Besonderes zwischen mir und Nikolai? Wieso ist es meine Pflicht, dir zu helfen:«
    »Weil es um Nikolais Tochter geht.«
    »Was habe ich mit ihr zu tun?«
    »Du hast sie vor Jahren nur entführt, um Nikolai bloßzustellen.« »Na und?«
    »Nie und nimmer hättest du ihr ein Haar gekrümmt. Selbst dann nicht, wenn Nikolai sich geweigert hätte, das Lösegeld zu zahlen.«
    »Interessante Theorie. Und weshalb hätte ich sie deiner Meinung nach schonen sollen?«
    »Sie ist deine Nichte.«
    »Meine ...« Gogol fasste sich an die Brust. Mit aufgerissenem Mund starrte er Alexander an. »Woher weißt du davon?«
    »Ich weiß es nicht, ich habe es vermutet. Aber in diesem Augenblick hast du es zugegeben.« Und bevor der Ältere aufbrausen konnte: »Es bleibt unser Geheimnis.«
    Gogol stieß zischend die Luft aus. »Sag mir, wie du darauf gekommen bist.«
    Alexander rückte den Stuhl zurecht und setzte sich Gogol gegenüber. »Nikolai hat mir sehr ausführlich von der Vergangenheit erzählt, so auch der Vorfall mit seinem Bruder, der von einem Zaun aufgespießt wurde. Gogol, er ist vor deinem Vater geflüchtet, der ihn missbraucht hat.«
    »Das ist ...«
    »Nein, das ist keine Lüge. Du und ich, wir wissen es.« Gogols Schultern fielen nach vorn.
    »Und er hat nicht nur Nikolais Bruder missbraucht, sondern auch dessen Mutter. Vielleicht haben damals Großgrundbesitzer für sich das Recht in Anspruch genommen, mit den Frauen der Leibeigenen ins Bett zu gehen.«
    »Zu der Zeit gab es keine Leibeigenen ...«
    »Nach dem Gesetz nicht mehr, aber de facto schon. Warum sträubst du dich so, es zuzugeben? Du weißt alles und sträubst dich.«
    Gogol bat mit flacher Stimme: »Bitte, gib mir was zu trinken.« »Was möchtest du?«
    »Scharfen Schnaps.«
    Als die Wodkaflasche vor ihm stand, setzte Gogol sie an und trank, das Glas schob er zur Seite. Er wischte sich mit dem Unterarm über den Mund. »Ja, Nikolai war mein Halbbruder.«
    Jetzt war es heraus, und Gogol fühlte sich erleichtert. Wieder ein kräftiger Schluck. »Mein Vater war ein Schwein. Er hat nicht nur Nikolais Bruder, sondern auch ...« Gogol trank abermals. »Und auf Geheiß meines Vaters musste ich Nikolais Vater erschießen. Als Nikolai meinen umbrachte, ich habe ihn dabei beobachtet, da war ich erleichtert und froh. Die Bestie war endlich tot.«
    »Aber warum dann der lange Weg des Hasses? Die Feindschaft? Die Anschläge?«
    »Wegen der Ehre und wegen meiner Familie. Wir durften nicht zugeben, was für ein Mensch mein Vater war. Wir mussten so tun, als würden wir seine Ehre verteidigen.«
    Alexander verstand den Alten nicht. »Hier in Sibirien gab es doch keine Zeugen.«
    »Doch, Nikolai und mich.«
    »Aber ihr seid Halbrüder gewesen.«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Nur noch eine Frage: Hast du Nikolai gehasst?«
    »Nein.«

    Der Fahrer des Lkw, Bilenkow, war vierzig Jahre alt, mittelgroß und machte auf Alexander einen aufgeweckten Findruck. Bilenkow wartete ungeduldig, damit endlich das erhoffte Angebot gemacht wurde. Aber Alexander, der Bilenkow für unschuldig hielt, tastete sich langsam vor. Wie lange er schon Lkw steuere,

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