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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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von neunzig Kilometern bis zur nächsten Brücke in Kauf nehmen. Alexanders Hinweis, auf der einen Seite des Flusses seien die Wohngebiete, auf der anderen das Holzkombinat und mehrere wichtige Produktionseinrichtungen, ließ man nicht gelten. Fähre benutzen, aus, Schluss.
    Bereits in einer der kommenden Sitzungen machte jemand den Vorschlag, in Bratsk eine neue Straße vom Stadtteil Energetik zu einem Wohngebiet anzulegen. Dazu sei ein klitzekleiner Tunnel von zwei Kilometern Länge erforderlich, eigentlich nicht der Rede wert. Aber dieser Tunnel verkürze die Fahrtstrecke enorm, um exakt vierundzwanzig Kilometer.
    »Welchen Vorteil für die Wirtschaft unseres Landes bringt dieser Tunnel?« wollte Alexander wissen. Schweigen in der Runde.
    »Gibt es in der Nähe der Wohnsiedlung einen Staatsbetrieb, der wichtige Güter produziert?« Immer noch Schweigen.
    »Warum soll der Tunnel überhaupt gebaut werden?«
    »Damit die Bewohner leichter in die Stadt fahren können und nicht im Winter diesen großen Umweg in Kauf nehmen müssen.«
    »Wie groß ist denn das Wohngebiet?«
    Zäh war die Auskunft: »Nun äh es handelt sich um ein kleineres.«
    »Fünfhundert Häuser?«
    Kopfschütteln.
    »Zweihundert?«
    Kopfschütteln.
    »Also wie viel?«
    »Ah ... Neunzehn.«
    Alexander verzog abfällig den Mund über die Kleingeister und Schmarotzer. Natürlich hatte er sich vorher informiert und wusste genau, zwei der Ratsmitglieder hatten ihre Häuser in der kleinen, komfortablen Siedlung und waren auf einen Handel aus. Wenn die übrigen ihrem Vorschlag zustimmten, konnten sie bei Gelegenheit auf die beiden zählen. So einfach machte man es sich in den meisten regionalen Planungsgremien etwa nach dem Motto: Unsere Interessen haben gefälligst die des Volkes zu sein.
    »Die Brücke über die Olekma haben Sie abgelehnt, obwohl täglich zwölftausend Arbeiter auf die andere Seite des Flusses wechseln müssen. Und jetzt wollen Sie einen Tunnel und eine Straße bauen, damit die Ratsmitglieder Tolmatzki und Fjodorow bequemer nach Bratsk fahren können.«
    Auf elegante Art und Weise rächte sich der Ausschuss. Die Einladungen trafen in der Folgezeit immer einige Tage zu spät ein, so dass Alexander nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen konnte. Und auf einer beschloss man - leider sei Robert Koenen verhindert, er fehle unentschuldigt, so stand es im Protokoll vermerkt - Tunnel-und Straßenbau in Bratsk. Als Alexander davon erfuhr, kündigte er seine Tätigkeit auf. Dem Land war nicht zu helfen, der Apparat erstickte an sich selbst.
    Zukünftig vermied Alexander möglichst jeden Kontakt mit den Behörden, weil die höheren Beamten gleichermaßen vorgingen wie die Mitglieder des Planungsrates und sich als Verwalter der eigenen Interessen aufspielten.
    Aber Apparatschiks vergessen nichts. Alexander bekam das deutlich zu spüren. Was er auch auf die Beine zu stellen versuchte, man sabotierte ihn und den Bund mit Hilfe von Bestimmungen und Paragraphen. Nicht Eigeninitiative und Fortschritt waren gefragt, sondern die beständige Verkrustung im Denken und Handeln. Alexander gelangte deshalb mehr und mehr zur Überzeugung, dass er nicht mehr in die Zeit hineinpasste.

    Staatspräsident Tschernenko verstarb ebenfalls kurzfristig. Lungenemphysem und Gelbsucht waren stärker, sie führten zum Herzversagen. Moskau rüstete sich erneut zur Staatstrauer, darin hatte man ja bereits Routine.
    In dieser Phase tauchte ein neues politisches Licht in der Metropole auf. Fast revolutionär allein schon sein Alter: noch nicht einmal Mitte fünfzig. Bliebe er achtzehn Jahre im Amt, dann wäre er so alt wie sein Vorgänger bei dessen Wahl. Genauso revolutionär schienen seine Vorstellungen und seine Vorschläge m sein, die Sowjetunion zu wandeln und sie den Gegebenheiten der Zeit anpassen. Die meisten fanden seine Ideen und Ansätze gut, die mit Aufrichtigkeit und Überzeugungskraft vorgetragen wurden, was auf die Massen glaubhaft wirkte. Lediglich altgediente Kommunisten fürchteten um ihre Pfründe und übten sich schon mal in Destruktion.
    Aber der Funke sprang nicht auf Alexander über. Er fühlte sich leer und ausgebrannt, Versprechungen konnten ihn nicht begeistern. W7enn überhaupt, dann mussten Taten her.
    Leonid versuchte Alexander für seine Aufgabe zu motivieren, redete vom Land und der Verpflichtung, die er zu erfüllen habe, und wusste doch, es war sinnlos. Als auch noch Minsk starb - man fand ihn eines Morgens in seinem Bett, er war einfach

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