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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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protestieren müssen.
    »Das erklärt mir aber immer noch nicht, wie Sie auf mich aufmerksam geworden sind.«
    »Besmertisch hat dem KGB Fingerabdrucke von einem angeblichen Toten zukommen lassen. Winzige Spuren von Schweißabsonderungen und eine Eiweißanalyse haben ergeben, dass der Betreffende noch putzmunter gewesen sein musste. Wir haben zwei und zwei zusammengezählt und sind auf Sie gestoßen. Und dann noch das seltsame Ansinnen von Besmertisch, die Akte Gautulin für alle Zeiten zu schließen. Wir haben seinen Wunsch gewissermaßen erfüllt. Warum auch nicht? Wir konnten uns denken, wer und was dahinter steckte.«
    »Demnach sind Sie also Mitarbeiter des KGB gewesen.«
    Kosyrew nickte. »Das ist, wenn man so will, heute ein unschätzbarer Vorteil, obwohl man nicht gerne darüber spricht. Wohl kaum einer kann wie ich jederzeit auf gewisse ... Dossiers zurückgreifen und sie im Sinne des Staates verwenden.«
    »Das habe ich gemerkt.«
    »Es ist schon kurios«, sprach Kosyrew weiter, »früher hat man alle fähigen Köpfe ins Arbeitslager gesteckt, heute müssen wir sie herausholen und um ihre Mitarbeit ersuchen, damit das Land überleben kann. Wie sich doch die Zeiten ändern!«
    »Wünschen Sie sich etwa die alten herbei?«
    Kosyrew verneinte »Peinlich wird es nur, wenn ich in meiner neuen Tätigkeit als Vertreter des Ministers gerade an die Leute herantreten muss, für deren Verurteilung ich seinerzeit mehr oder weniger gesorgt habe.«
    »Waren Sie auch an meiner beteiligt?« Alexander war über die Offenheit seines Gesprächspartners erstaunt.
    »Nein.«
    Alexander glaubte dem Beamten. »Dann möchte ich von Ihnen noch eines wissen: Mit welchen Konsequenzen muss ich rechnen?«
    Kosyrew lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Innerlich zersprang er fast vor Spott, zumindest kam es Alexander so vor.
    »Herr Koenen, solange Sie uns potentiell als Mitarbeiter zur Verfügung stehen, wird nichts geschehen. Mit anderen Worten: Geben Sie uns bitte nie eine endgültige Absage - auch nicht in zwanzig Jahren.«

    Im Hotel fand Alexander einen dicken Umschlag vor, obendrauf lag ein Blatt Papier.
    »Vielleicht kann ich dazu beitragen, einen wichtigen Punkt Ihrer Vergangenheit aufzuklären.« Unterschrieben waren die wenigen Worte mit »Ihr Kosyrew«.
    Mehrere Minuten starrte Alexander auf die insgesamt neun Briefe. Fünf weitere hatte Hellen demnach noch nach seiner Verhandlung geschrieben, bei der deutschen Botschaft aber waren sie nie angekommen. Und dann begann er zu lesen. Die Vergangenheit war gegenwärtig, er sah Hellens Bild deutlich, eines besonders: Sie, nass und mit verweinten Augen in der Universität. Alexander tauchte in eine verloren geglaubte Welt, spürte seine damaligen Emotionen und Gefühle, sah schöne und schreckliche Abschnitte seines Lebens. Die mit Hellen vermischten sich mit denen aus seiner Lagerhaft, Liebe und Tod wechselten einander ab.
    »Sie hat mich geliebt«, murmelte er bewegt, nachdem er alles gelesen hatte. »Wir haben uns wirklich geliebt«, fügte er hinzu und begann wieder mit dem ersten Brief.

    Alexander ging auf Kosyrews Vorschlag ein und reiste im Land umher. Verständlich, dass ihn sein erster Weg nach Süden führte, hinein in die ehemalige Region der Wolgadeutschen, die sich maßgeblich beim Aufbau der Landwirtschaft bewährt hatten. Weil ihr Wohlstand wuchs, waren Reibereien mit der übrigen Bevölkerung programmiert, die auch daran partizipieren wollte. Der Widerstand der Wolgadeutschen gegen die Zwangskollektivierung Anfang der dreißiger Jahre, er forderte Hunderttausende Opfer, beendete diesen Zwist.
    Alexander stand in der Zentrale der mehr als 50 000 Hektar großen Sowchose 19, seinem Geburtsort. Das Verwaltungsgebäude zur Rechten war geschmückt mit der immer noch obligatorischen roten Fahne, obwohl auch sie mehr und mehr aus dem alltäglichen Bild verschwand. Soziale Einrichtungen wie zwei Schulen, ein Kindergarten, Kulturzentren und solche für die Erwachsenenbildung gliederten sich an, umschlossen von einem Ring Wohnhäusern von mit Sportplatz und Turnhalle. Der Flugplatz Tag zwei Kilometer entfernt hinter einer Bahnlinie.
    Die Sowchose, so groß wie das Bundesland Bremen, verfügte noch über weitere zwölf ausgelagerte Abteilungen und machte auf Alexander einen heruntergekommenen Eindruck. Nicht wegen der morastigen Wege, das kannte er aus Sibirien, oder der abblätternden Farbe. Vielmehr waren es die Menschen, die an einem Arbeitstag im Sommer

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