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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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besser in Erinnerung.«
    Kosyrew wartete auf eine Antwort. Da sie nicht kam, ging er auf den Bericht ein, den er Alexander in Kirensk übergeben hatte.
    »Wenn unser Land ein Patient wäre, dann würde ich sagen, er müsste schnellstens auf die Intensivstation.«
    Alexander schränkte ein: »Aber mit wenig Aussicht auf Erfolg.«
    »Meinen Sie nicht, Gospodin Koenen, es wäre einen Versuch wert?«
    Alexander war schon in Kirensk Kosyrews Anrede aufgefallen. »Heißt das nicht mehr Towarischtsch?«
    »Unter uns schon lange nicht mehr. Genosse ist längst passe, Herr Koenen.«
    »Wen meinen Sie mit unter uns?«
    »Wir, die jüngere Generation.«
    »Die sogenannten Intelligenzler.«
    »Gut, es gibt halt viele Akademiker unter uns, aber die Ansichten haben sich gewandelt. Das Denken der dreißiger und vierziger Jahre ist vorbei. Wir fordern nicht wie damals eine hohe und stark differenzierte Vergütung, keine steuerliche Begünstigung unserer Einkommen, auch kein spezielles Erbrecht und Schulen nur für die Elite. Allerdings sind wir auch nicht für Gleichheit oder Gleichmacherei. Jeder soll seinen Fähigkeiten entsprechend entlohnt und befördert werden.«
    »Schöne Worte, wenn sie zutreffen. Führte das nicht zwangsläufig zu einer neuen Nomenklatura?«
    Deren Existenz bestritt Kosyrew. Aber um glaubwürdig zu erscheinen, müsse man die alten Zöpfe abschneiden.
    »Bedeutet das, zum erstenmal seit zweihundert Jahren hat ein Beamter, der etwas bewegt, keinen direkten Vorteil?«
    »Ja.«
    »Sind Sie davon überzeugt?«
    Kosyrew schien es zu sein, so eifrig, wie er nickte.
    Alexander lachte, und er fragte spöttisch: »Ist es nicht eher so, dass all die Reformen nur darauf hinauslaufen, die Privilegien einer Kaste abzuschaffen, um sie elegant und ohne Aufsehen einer neuen zuzuschustern?«
    Das bestritt Kosyrew vehement. Wenn er, Robert Koenen, davon überzeugt sei, dann habe er die Reformen nicht verstanden.
    »Wie kann ich sie verstehen, wenn auf der einen Seite Neuerungen proklamiert werden, auf der andern der Generalsekretär das alte politische System lobt.«
    Darauf konnte Kosyrew nichts entgegnen. Er kam auf sein Angebot zu sprechen, ob Alexander bereit sei, mit dem Ministerium in Moskau zusammenzuarbeiten.
    »Ich weiß es noch nicht.«
    »Reisen Sie bitte einmal durch das Land, schauen Sie sich die Missstände an. Dann gibt es für Sie, falls Sie ein Fünkchen Heimattreue und Nationalstolz besitzen, keine andere Möglichkeit.«
    »Bitte drängen Sie mich nicht.«
    Trotzdem fragte Kosyrew nach: »Wann wissen Sie es?«
    »Nun«, begann Alexander gedehnt, »wir haben in Sibirien ein Sprichwort: Wenn ein Baum fällt, versuche nicht, ihn festzuhalten. Lass ihn auf dem Boden aufschlagen, sonst erschlägt er dich.«
    Mit großen Augen sah Kosyrew ihn an. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ganz einfach: Unser Staat ist der Baum.«
    »Und Sie wollen warten, bis er aufschlägt?«
    »Ich will sagen, es hat keinen Sinn.« Alexander ging zur Verdeutlichung auf seine ehemalige Tätigkeit im Planungsrat der Region Mittelsibirien ein und die Art, wie man dort Aufträge vergab und Projekte verwirklichte.
    »Das kann uns nicht passieren.«
    Alexander blickte skeptisch und konterte: »Es gibt nur einen Mechanismus, der greifen könnte, aber den haben die Imperialisten für sich gepachtet.«
    »Sie meinen die westlichen Industrienationen.«
    »Ach, so heißt das heute? Dort reguliert der Markt sich selbst. Was bei den Kolchosbauern funktioniert, die mit ihrer Art der Produktion wesentlich höhere Erträge erzielen als die staatliche Betriebe, weil sie besser sind und die Ware zur rechten Zeit angeboten wird, das könnte auch in unserem großen, weiten Land funktionieren.«
    »Ist das eine endgültige Absage?«
    »Nein ... Gospodin Kosyrew. Sie kennen meinen richtigen Namen.«
    Kosyrew schmunzelte auf eine angenehme Art. »Wir werden davon keinen Gebrauch machen.«
    »Aber trotzdem würde mich interessieren, wie Sie darauf gekommen sind.«
    »Wir wollen immer wissen, mit wem wir es zu tun haben, deshalb habe ich Ihr Umfeld beleuchtet, unter anderem auch diesen schillernden Besmertisch.«
    »Sie wussten von seiner ... Angewohnheit?«
    »Ja. Wir ließen ihn gewähren, weil er mit Ihnen kooperiert hat. Sie beide waren für uns, lassen Sie es mich mal so ausdrücken, ein gutes Gespann.«
    Das verschlug Alexander die Sprache. Er und Besmertisch ein gutes Gespann? Eigentlich hätte er, da er sich beleidigt fühlte, aufbrausen und

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