Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
Apparat aus. »Mehrere Jahre hörte ich nichts von dir, bis dann dieser Brief kam. Ein Österreicher brachte ihn mir. Sein Name ... Tut mir leid, er ist mir entfallen.«
    »Lientscher.«
    »Richtig, Lientscher. Er war sehr nett, und er hat von dir geschwärmt, was du alles in die Wege geleitet hättest und wie du arbeiten würdest. Zuerst wollte ich ihm nicht glauben. Außerdem dachte ich, der Brief sei eine Fälschung. Aber er konnte dich so exakt beschreiben, die Art, wie du gesprochen hast, deine Gesten.«
    »Ich freue mich, dass Lientscher Wort gehalten hat, obwohl man ihn an der Grenze festhielt und verhörte. Gott sei Dank hat sich meine Weitsicht mit dem zweiten Brief bezahlt gemacht.«
    Hellen atmete tief ein. »Das war das letzte Lebenszeichen von dir. Zwanzig Jahre ist das jetzt her, zwanzig lange Jahre.«
    »Ja, man hat mir die Zeit gestohlen und damit einen Großteil meines Lebens.«
    Die Vergangenheit, obwohl nur Worte und Erinnerungen und längst vorbei, bedrückte sie beide. Alexanders Gesicht wurde kantig, bekam einen aggressiven Zug, wenn er an bestimmte Dinge dachte. Und Hellen bemerkte das.
    »Wie war deine Frau Larissa? Die Kinder? Bitte, erzähl mir von ihnen.«
    Sofort entspannte sich Alexander wieder. Weich wurden seine Lippen, ein feines Lächeln umspielte sie. Manchmal schloss er für einige Sekunden die Augen, wenn er davon erzählte, wie Nikolai junior ihn an den Haaren gezupft oder Tanja ihm das Essen in den Mund gestopft hatte. »Damit du groß und stark wirst. Das sagt Mami auch immer zu mir.«
    Alexander hatte das Gefühl, die kleinen warmen Körper vor sich zu sehen und die weichen Kinderhände zu spüren, die so zärtlich sein konnten. Einmal, als er sich mit dem Messer in den Finger geschnitten hatte, befühlte Nikolai die Wunde, da er so etwas noch nie gesehen hatte. Er tat es mit einer Vorsicht, als könnte allein schon die Berührung den Schnitt tiefer werden lassen. Oder Tanja, wenn sie in der Badewanne die Verwucherungen seines Schienbeines betastete. Finger, leicht wie fallende Blätter. Alexanders Lippen wurden wieder hart, das Kinn war wie ein Keil. Finger, leicht und tot wie fallende Blätter. Und kalt dazu. Damals, in der zerstörten Hütte, als er ihre Hände zum letzten Mal angefasst hatte. »Woran denkst du?«
    »An den Tod«, stieß er hervor. »Wo ich auch hingekommen bin, was ich auch getan habe, immer war er zugegen. Und wie gerne hätte er mich auch einkassiert. Das hätte er auch geschafft, wenn nicht Rassul gewesen wäre.«
    »Alex, du hast unglaublich viel mitgemacht. Aber ist dir nicht aufgefallen, dass es immer jemanden gab, der dir zum Weiterleben verhoben hat? Jemanden, der den Tod sabotierte?«
    Er drückte eine Faust auf den Mund und spürte nicht, wie sich seine Zähne eingruben.
    »Du hast die Pflicht, zu leben.«
    »Und wer hat das Recht, mir meine Familie zu nehmen?« schrie er. Und entschuldigte sich. Immer, wenn er das Bild vor Augen habe, überkomme ihn die Erinnerung wie ein Schwall, dann erkenne er die Unsinnigkeit des Lebens. Wenn Unschuldige stürben, müsse es doch unsinnig sein. Yokola, du hast nicht recht. Urnak weiß es besser. Er versteht mich.
    »Ich kann nachvollziehen, was dir widerfahren ist.«
    Alexander schüttelte den Kopf. »Nein, das kannst du nicht.«
    »Doch. Du bist: auch gestorben, und ich habe um dich getrauert.«
    »Aber jetzt sitze eh hier. Das ist der Unterschied.«
    »Ja, du sitzt hier.«

    Alexander lag mit offenen Augen im Gästezimmer. Es sei schon zu spät, um noch zurück nach Düsseldorf zu fahren. Draußen im Osten wurde der Himmel bereits grau. Er war im Zwiespalt. Hellen, sie hatte sich sehr gefreut, und ihre Tränen taten ihm gut. Sie zeigten ihm, dass er ihr Bild nicht vergeblich aufbewahrt hatte. Konnte er sich jedoch daraus das Recht ableiten, in ihr Leben einzudringen? Sich als Freund aus früher Jugend in eine Ehe zwängen? Nein. Das Recht hatte er nicht, und er würde sich am Morgen von ihr verabschieden. Kein einfaches Vorhaben wäre das, so wie es augenblicklich in ihm aussah. Vielleicht klammere ich mich auch nur an sie, um ein Gegengewicht für meine Familie zu haben, überlegte er. Ich brauche Hellen als Ausgleich.
    Sofort überführte er sich der Lüge, denn Larissa und die Kinder waren seit Jahren tot. Warum hatte er dann nicht schon früher Hellen aufgesucht und mit ihr gesprochen?
    Weil ich dazu nicht bereit war.
    Und warum warst du dazu nicht bereit?
    Wegen meiner Familie und der Trauer um sie.
    Na

Weitere Kostenlose Bücher