Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
also. Da hast du doch die Erklärung. Vermische eines nicht mit dem anderen. Hellen - und Larissa und die Kinder. Beides ist vollkommen unabhängig und nicht miteinander zu vergleichen.
    Am Frühstückstisch gab sich Alexander betont gutgelaunt, obwohl es in ihm anders aussah. Hellen merkte es. »Was ist mit dir?«
    Er sagte ihr sinngemäß das gleiche, was er sich während der frühen Morgenstunden überlegt hatte.
    »Quatsch.«
    Das war deutlich, und er freute sich über das eine Wort.
    »Wieso?«
    »Weil wir erwachsene Menschen sind. Ingo hat nichts gegen dich. Im Gegenteil. Er hat mich sehr unterstützt. Manchmal gab er mir das Gefühl, als täte er es nicht nur, um mir zu helfen.«
    »Morgen kommt er wieder zurück. Du bleibst doch länger?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Gestern dachte ich, es sei für immer.«
    »Meine deutsche Heimat?«
    »Nein.«
    »Weswegen denn?«
    Hellen spielte mit ihrem Ehering. »Alexander, wenn du das nicht weißt, dann bist du umsonst gekommen.«
    »Aber du bist ...«
    »Ja. Und ich habe einen Sohn.« Eilig stand sie auf und räumte den Tisch ah. Anschließend tat sie noch Dinge in der Küche, die sie auch später hätte verrichten können, als wollte sie sich ablenken.
    Er trat zu ihr. »Was ist mit dir?«
    »Ach, nichts.«
    Er fasste sie sanft an den Schultern. Sie drehte sich um und küsste ihn.

    Alexander war wieder in Düsseldorf. So schnell, wie er sich verabschiedet hatte, war es abermals eine Flucht. Eine Flucht vor Konventionen, weil Hellen verheiratet war, und eine Flucht vor der eigenen Unsicherheit.
    »Na, hat es sich gelohnt?«
    »Ja.« Lange sah Alexander den Rentner Wolf an. »Vielen Dank für Ihren Rat, es hat sich wirklich gelohnt. Gestern, das war ein wichtiger Tag in meinem Leben. Und eine wichtige Erkenntnis.«
    Alexander streifte durch die Stadt, ohne sie zu sehen. Passanten nahm er nicht wahr, Ampeln, die Rot anzeigten, notgedrungen, als Autos zweimal kreischend bremsten. Für die Auslagen hatte er keinen Blick.
    Morgen Abend, so Hellen, möge er sie bitte besuchen kommen. Ingo sei auch da und würde sich freuen. Vorher rede sie mit ihm.
    Alexander hatte nicht zugesagt. Auch jetzt wusste er noch nicht, ob er die Einladung annehmen sollte. Warum eigentlich? Allein, weil sie mich geküsst hat? Welche Bedeutung hat ein Kuss für sie? Was er ihm bedeutete, brauchte er sich nicht zu fragen.
    Der Rhein führte Niedrigwasser, das zeigten am Ufer breite Streifen aus Kies, und die Schiffe waren nicht voll beladen. Jogger überholten ihn, Radfahrer klingelten provozierend. Ob er denn nicht rechts gehen könne, runter vom Radfahrweg!
    Alexander setzte sich auf eine Bank und starrte auf den Rhein. Mein Leben ist wie ein Fluss. Das Wasser fließt und fließt. Wo es auch vorbeifließt, es gibt keine Rückkehr. Hellen und ich haben diesen Punkt verpasst.
    In diesem Augenblick erinnerte er sich an Nikolai, der ihn einmal gefragt hatte, was das Leben für ihn bedeute. Alexander wusste damals keine rechte Antwort. »Ich weiß nicht. Vor zwei Jahren, als ich das erste Mal mit der Transsib fuhr, hatte ich ein seltsames Erlebnis. Ich schaute hinaus aus dem Fenster und rollte an den anderen Eisenbahnwaggons vorbei. Sie waren beleuchtet, und drinnen entdeckte ich viele Gesichter, die mich anstarrten. Einige der Abteiltüren standen offen. Ich konnte hindurchschauen und sah dahinter Licht. Das Licht einer Laterne. Es blieb auf seinem Platz. Aber ich fahre doch. Wie kann das gehen, überlegte ich. Und plötzlich war der Zug neben mir verschwunden. Er hat sich bewegt und nicht meiner. So kommt mir das Leben vor, Nikolai. Sage mir: Bewege ich mich, oder werde ich bewegt?«
    Zug und Fluss, beides bewegte sich, so wie das Leben. Und jeder Tag war unwiderruflich vorbei. Hellen und mich trennen zehntausend Tage, mehr als ein Vierteljahrhundert. Keinen einzigen Tag kann ich zurückbringen, auch nicht durch zehntausend Küsse. Und keinen einzigen Vorfall kann ich ungeschehen machen, nicht in zehntausend Jahren.

    Verlegen standen sie sich gegenüber. Abwartend reichte Alexander dem hochgewachsenen Mann mit dem lichten Haar die Hand, sein Gruß klang nicht so freundlich, wie er sich vorgenommen hatte. Und seine Bewegungen waren linkisch, als er Hellen verspätet den Blumenstrauß reichte. Er entschuldigte sich, weil er vergessen hatte, das Papier zu entfernen.
    »Bitte, treten Sie näher, Herr Gautulin.«
    Alexander zögerte, als er mit Gautulin angesprochen wurde, aber unter diesem Namen kannten

Weitere Kostenlose Bücher