Der König von Sibirien (German Edition)
sie ihn. Von Robert Koenen wusste nur Hellen. Hatte sie es ihm nicht erzählt?
Jannings führte ihn in das Wohnzimmer. »Aperitif, Champagner oder sonst was?«
»Ja, ein Glas Champagner.« Eigentlich trank er den nicht gerne, aber er passte nun mal zum heutigen Abend und zum Umfeld. Und zum weitläufigen, komfortablen Haus der Jannings mit dem großen Wohnzimmer, mit Schwimmbad, Sauna und Fitnessbereich. Alexander hatte sich davon überzeugen können, als Hellen ihn herumgeführt hatte.
Beim Essen verlief die Unterhaltung steif und einsilbig und nichtssagend. Wie das Wetter in Sibirien sei, das Leben, man habe hier überhaupt keine Vorstellung.
Brav beantwortete Alexander alle Fragen, schilderte das Land so, wie er es sah, in seiner Rauheit und mit den Widersprüchen, vergaß aber auch nicht den Charme der Natur hinzuzufügen und die Kraft, die sie verströmte.
»Das klingt ja so, als würde es Ihnen dort gefallen?«
Jannings hoffte, das Alexander ja sagte, so wie er ihn anschaute.
»Sie haben recht. Es gefällt mir dort.«
Jannings schien erleichtert zu sein.
Alexander ergänzte: »Es gefällt mir überall, wo ich in meinem Leben eine Erfüllung sehe.«
»Könnte das auch außerhalb Sibiriens sein?«
»Warum nicht? Sind Sie an einen Ort gebunden?«
Jannings streichelte die Hand seiner Frau. »Ich komme viel in der Welt herum, trotzdem bin ich bodenständig, wie man so schön zu sagen pflegt. Ich freue mich immer wieder wenn ich nach Hause komme. Ein Heim, die Familie, meine Bekannten und Freunde.«
»Haben Sie viele Freunde?«
Jannings gab die Frage an Hellen weiter, sie schaute Alexander hilflos an. So antwortete Jannings selbst. »Ja, kann man sagen, wir haben sehr viele freunde. Nicht wahr, Schatz?«
»Sie sind zu beneiden, Herr Jannings.«
»Wegen meiner Freunde?«
»Ja.«
»Haben Sie denn Keine ...?«
»Nur noch einen, Leonid. Alle anderen sind tot.«
»Oh, tut mir leid.«
»Und ich hatte nie mehr als zwei Freunde zur gleichen Zeit. Vielleicht fünf oder sechs in meinem Leben.«
»Nicht mehr?« Erstaunt legte Jannings sein Besteck beiseite.
»Aber das hat nur auch genügt. Jeder hat mir irgendwann einmal das Leben gerettet.«
»Sie zählen nur diejenigen zu Ihren Freunden, die Ihnen das Leben gerettet haben?« amüsierte sich Jannings. »Dann dürfte ich keinen haben.« Er merkte seinen Lapsus und entschuldigte sich.
Alexander nahm es ihm nicht übel. »Ich kann Sie beruhigen, sie waren auch schon vorher meine Freunde. Aber eine richtige Verbindung entsteht für mich nur, wenn man sich bedingungslos auf jemanden verlassen kann.«
»Das können wir uns auf unsere Freunde auch. Nicht, Schatz?« Jannings tätschelte Hellens Hand.
»Wie war das mit deinem Freund Hofer und seinen Bauherrenmodellen, bei denen du so viel Geld gelassen hast? Dann Quierschied, der von der Versicherung, auf den du nichts hast kommen lassen. Sitzt er nicht im Gefängnis?«
»Nun ja, äh ... Es gibt immer mal schwarze Schafe. Auch in Sibirien. Habe ich recht, Herr Gautulin?«
»Das stimmt.« Weil ihm danach war und er an Geriak dachte, fügte er hinzu: »Aber bei uns werden die schwarzen Schafe nicht alt. Die Natur regelt das.«
Irritiert blickte Jannings hoch. Inzwischen war allen Beteiligten klar geworden, dass Alexander und Jannings sich abtasteten, des anderen Schwachstellen auszuloten versuchten. Jannings, weil er meinte, da dringe jemand in seine Privatsphäre ein und wolle sich breitmachen, und Alexander, der plötzlich ältere Rechte fühlte. Ich war vor dir da, also mäßige dich.
Hellen glättete die Wogen. »Ingo, ich habe dir doch erzählt, dass Alex Nachforschungen anstellen will. Er möchte wissen, wie er seinen leiblichen Vater finden kann. Könntest du ihm dabei helfen?«
Jannings war dazu sofort bereit. »Kein Problem. Was ich brauche, sind Name, Alter, also Geburtstag und der ungefähre Zeitpunkt, wann er in die deutsche Wehrmacht eingetreten ist. Können Sie mir das bitte aufschreiben?« Ohne eine Antwort abzuwarten, erhob sich Jannings und kam mit einem Block zurück.
»Welche Möglichkeiten gibt es, ihn zu finden?«
»Machen Sie sich bitte keine allzu großen Hoffnungen, Herr Gautulin ... oder soll ich Herr Koenen sagen?«
»Koenen wäre der offizielle Name.«
»Gut, Herr Koenen. Also, Ihr Vater kann im Krieg gefallen sein und als unbekannter Soldat irgendwo begraben liegen. Er kann den Krieg überlebt haben und in Gefangenschaft geraten sein. War es die sowjetische, dann werden sie
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