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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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für Rassul und Alexander.
    Der Alte erhob sich ächzend vom staubigen Boden und ging zu Wolkow, dem Schlächter. »Warum gibst du uns nichts zu essen und zu trinken? Haben wir nicht gut gearbeitet?« Der Brigadier stieß den alten Mann vor die Brust. Rassul taumelte, prallte mit dem Rücken gegen die Wand und rutschte zu Boden.
    Alexander war aufgesprungen, um Rassul zu helfen. Wolkow dachte, er wolle sich auf ihn stürzen, und stieß mit dem Fuß zu. Da Alexander in der Bewegung war, traf ihn Wolkow nicht, sondern glitt auf dem lockeren Untergrund aus und fiel hin. Die Strafgefangenen schütteten sich vor Lachen, Brotkrümel flogen ihnen aus dem Mund, klatschend landeten ihre Hände auf den Schenkeln. Wutentbrannt sprang der Brigadier auf, noch ein letzter giftiger Blick zu Alexander, dann war er verschwunden.
    »Rassul, was ist mit dir?«
    »Es geht schon.« Der Alte rappelte sich hoch, dabei sah er Alexander seltsam an. »Ich würde an deiner Stelle jetzt höllisch aufpassen, du hast dir einen Feind gemacht. Und was das schlimmste ist, für den Vorfall gibt es mehr als zwanzig Zeugen. Heute Abend hat sich das Ereignis im Lager verbreitet, das geschieht schneller als ein Flächenbrand.«
    Alexander wunderte sich über die Eindringlichkeit der Warnung: »Was kann mir denn schon geschehen?«
    Sie arbeiteten nochmals drei Stunden, dann war der zehnstündige Arbeitstag beendet. Müde schleppten sich die Männer durch den Stollen nach draußen, gaben ihr Werkzeug ab, wechselten die Kleidung und stapften zurück in das Lager.
    Wie Alexander schon auf dem kurzen Marsch mitbekam, machte sein Vorfall bereits die Runde. Während er durch das Tor von 60/61 schritt, spürte er vertrauliche Knuffe in der Seite und Hände, die ihm aufmunternd auf die Schulter klopften. Es tat gut zu wissen, welch schlechtes Ansehen die Blatnoij unter den Strafgefangenen hatten. Allerdings schienen die Sympathiebekundungen der Mitgefangenen nichts anderes als das Eingeständnis zu sein, selbst nicht den Mut zu haben, sich gegen die brutale Organisation zur Wehr zu setzen.
    Alexander wusch sich in der Baracke, in der sie am Morgen die wassergefüllten Eimer vorgefunden hatten. Jetzt standen - dafür war die Lagerbrigade zuständig - ausrangierte Benzin-und Ölfässer bereit, und ein jeder beeilte sich, möglichst noch an den frischen Inhalt heranzukommen.
    Alexander, den jede Faser schmerzte und der sich wunderte, wo man überall im Körper Muskeln hat, schleppte sich schwerfälliger in die Unterkunft als der alte Rassul. Total ausgepumpt ließ er sich auf seine Pritsche fallen und war sofort eingeschlafen. In einem hektischen Traum meldeten sich alle seine Probleme und Erinnerungen auf einmal. Hellen im Wechsel mit Anatoli und Mikola. Und seine Mutter, wie sie ihn ermahnte, es der Lagerleitung recht zu machen.
    Rassul rüttelte an ihm, er wachte auf. Verstört sah Alexander in das verknitterte Gesicht des Alten.
    »Hier, dein Essen.«
    Rassul stellte einen Blechteller mit einem undefinierbaren Eintopf neben Alexander auf den Boden und einen Becher mit Tee.
    »Wo hast du den Tee her?«
    »Für dich gekauft.«
    »Und der Preis?«
    »Fünf Zigaretten.«
    »Kostet der normalerweise nicht zwei?«
    »Für dich und mich kostet er ab sofort fünf.«
    Wut stieg in Alexander auf, denn er wusste, wer die Preise diktierte. Dann aber war er nur noch dankbar, weil Rassul ihm das Essen gebracht hatte, denn er wäre vor Müdigkeit nicht mehr aufgewacht und am nächsten Tag umso kraftloser gewesen.

    Die Zeit schleppte sich genauso träge dahin wie die Strafgefangenen. Nach sechs Arbeitseinheiten folgte ein Tag Pause, der viel zu kurz war, um sich einigermaßen zu erholen. Aber immer noch lang genug, um zumindest mit den anderen ein Gespräch zu führen.
    Alexander traf Sascha, den man in seinen Lagerbezirk verlegt hatte.
    »Weil der Natschalnik-Olp gehört hat, dass mein Vater beim KGB war.«
    »Und der eigentliche Grund?«
    Sascha zuckte mit der Schulter. »Ich nehme an, der ist auch beim KGB und will sich nun an mir rächen ... oder was auch immer.«
    Er sagte das ohne jede Regung, als hätte er sich mit seiner Situation abgefunden. Oft war Fatalismus die einzige Möglichkeit, zu überleben.
    Wer seine Lage erkenne, hatte Rassul emotionslos zu Alexander gesagt, dem bleibe im Grunde genommen nur noch der Ausweg, sich aufzuhängen.
    Sascha gehörte nicht zu Alexanders Arbeitsbrigade, aber er sah ihn jeden Morgen beim Appell. Und auch Sascha warnte ihn vor den

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