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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Blatnoij. »Die sind auf dich ungemein schlecht zu sprechen. Besonders der fiese Typ, den du lächerlich gemacht hast.«
    »Das wollte ich überhaupt nicht.«
    »Interessiert keinen. Absichten zählen nicht, nur das Ergebnis«, wusste Sascha. Und so wartete Alexander darauf, was der Blatnoij mit ihm anstellen würde. Alle Zeichen deuteten jedoch auf Ruhe, denn der Schlächter gab ihm in den Pausen auch wieder Brot und Wasser, und er unterhielt sich sogar mit ihm.
    »Er will dich nur einlullen«, meinte Rassul.
    »Aber der Vorfall ist doch schon zehn Tage her.«
    »Die Lagerinsassen lachen immer noch darüber. Das werden sie auch noch in zwei Jahren tun.«
    Als in der nächsten Woche nichts geschah, dachte Alexander, Rassul und Sascha hätten sich getäuscht, und vergaß die Warnungen. Körperlich fühlte er sich auch besser, denn er hatte sich mittlerweile an die Arbeit gewohnt und kraftsparende Techniken entwickelt, von denen sich eine als besonders wirkungsvoll erwies: um die Ecke verdrücken und nichts tun. Das funktionierte hervorragend, denn man warnte sich in der Brigade gegenseitig durch Pfiffe und bestimmte Melodien vor Wolkow. Da der Schlächter nicht überall sein konnte, auch weggelockt wurde, nutzten das die übrigen weidlich aus.
    Wieder Sonntag, ein Ruhetag. Inzwischen war es Mitte April. »Jetzt feiern die Orthodoxen das Osterfest«, sagte sinnend Rassul. Alexander fragte sich, was wohl aus dem Priester geworden war, der zu Weihnachten in Perm 35 aus der Bibel vorgelesen hatte.
    Am Nachmittag schien zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder die Sonne, und das stetige Tropfen von den Dächern verkündete die Schneeschmelze.
    Rassul war im Lager unterwegs, um für zwanzig Zigaretten eine Extrawurst einzuhandeln. Vorgestern hatte er sogar zwei Schlucke Wodka mit in die Baracke gebracht, den Alexander und er unter der Zeltplane getrunken hatten. Dabei hatten sie gekichert wie Kinder, die heimlich ihre erst Zigarette rauchen.
    Semja, zu vierzehn Jahren verurteilt wegen einer Karre Holz, betrat die Baracke und wandte sich an Alexander.
    »He, aufstehen! Du sollst zu Rassul kommen. Bring ihm einige Zigaretten mit, er will noch was eintauschen.«
    Alexander schwang sich von der Pritsche, griff unter die Plane und tastete nach seiner Monatsration Zigaretten. Vierzig gab es normalerweise, bei Übererfüllung des Plans für jedes Prozent nochmals eine. Obwohl er das Plansoll übererfüllte, hatte er vom Schlächter keine Extraration erhalten.
    »Wo ist Rassul?«
    »Hinter der Waschbaracke.«
    Alexander verzichtete auf die Jacke, denn es waren nur knapp hundert Meter bis dahin. Außerdem wollte er die Sonne genießen. Er wunderte sich, weil er keinem der anderen Strafgefangenen auf dem Weg zur Baracke begegnete. Da er Rassul hinter dem länglichen Holzgebäude nicht entdeckte, wo gewöhnlich der Schwarzmarkt - das Eintauschen von Zigaretten gegen alle anderen Dinge, angefangen von Tee, Wodka, Stiefel bis hin zu Plan, dem Rauschgift-abgewickelt wurde, stieg er die vier Stufen zum Waschraum hoch. Aber auch dort war niemand. Sämtliche Türen zu den einzelnen Toiletten, nichts weiter als mit Teer bestrichene Öffnungen im Boden, aus denen es fürchterlich stank und an dessen Rändern sich dicke braune Krusten gebildet hatten, waren angelehnt.
    »Rassul, wo steckst du?«
    Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Alexander zuckte zusammen - drei Männer hatten die Baracke betreten und bauten sich drohend im Halbkreis auf. In der Mitte Wolkow, sein Brigadier, mit einem zynischen Lächeln im Gesicht.
    Alle Warnungen, die er gehört, aber nicht ernst genommen hatte, schössen Alexander durch den Kopf.
    »Was ... was wollt ihr?«
    Ohne zu antworten, kamen die drei näher, und Alexander wich langsam rückwärts in Richtung Toiletten. Deutlich vernahm er das Quietschen einer rostigen Angel. Als er einen schnellen Blick über die Schulter warf, sah er aus den Kabinen vier weitere Männer treten. Sie hatten sich hinter den angelehnten Türen versteckt und auf ihn gewartet. Nun waren es also sieben, und sie kamen näher.
    »Los, draußen Wache schieben!« befahl Wolkow dreien von ihnen, die sofort verschwanden. Immer noch vier blieben übrig, viel zu viele für Alexander. Außerdem waren die Körper der Blatnoij nicht von der Arbeit verbraucht. Im Gegenteil. Einige hatten sogar Speck angesetzt, dank üppiger Sonderrationen.
    Wolkow griff mit einer Hand hinter den Rücken und zog ein feststehendes Messer aus dem Hosenbund. Nun

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