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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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auch auf Kosten anderer. Aber fast niemand erreichte sein Ziel.
    »Wir hatten eigene Gesetze, Regeln und Sitten. Zwar wurden wir von den Tschekisten bewacht, aber ins Lager wagten sie sich nur selten. Manch einen von ihnen hat man mit einem Messer im Rücken gefunden.«
    Einen Führer der Blatnoij habe er gut gekannt, einen großen, stattlichen Mann mit viel Ausstrahlung. Sein Prinzip sei es gewesen, nicht die armen Insassen auszubeuten, sondern es von den Reichen zu nehmen, von der Lagerleitung. Deshalb habe er mit allem geschoben, was ihm unter die Finger gekommen sei: Holz, Kleidung, Tee, Tabletten und Plan, dem Rauschgift. Und dieser Elefant habe den stärksten Krepki tschai getrunken, 35 Gramm grusinischen Tee auf 125 Gramm Wasser. »Mann, das geht dir ins Blut!«
    Es habe auch einen Politruk gegeben, der sich einen Spaß daraus machte, die Verurteilten zu quälen und zu schikanieren. Bei minus 40 Grad schickte er sie hinaus in den Schnee, damit sie Holz für den Ofen suchten oder mit der Spitzhacke den gefrorenen Boden bearbeiteten. Der größte Sadist, dem er in seinem langen Lagerleben begegnet war.
    Er sei Zeuge geworden, wie dieser Elefant den Lagerpolitruk zur Rede gestellt habe. Er solle sich menschlich verhalten, die armen Kreaturen nicht so schinden. Als der Politruk höhnisch lachte, griff der Elefant unter seinen weiten Umhang, zog zwei Dolche hervor und stieß sie dem Verhassten in den Leib. »Wir waren alle erstarrt, und der Blatnoij ging aufrichtig und stolz zur Wache und legte denen die Dolche auf den Tisch. Ich habe noch gesehen, wie man ihn abgeführt hat.«
    »Ist das wirklich wahr?«
    »Beim Tod meiner Mutter.«

    Das Licht wurde gelöscht. Alexander rückte seine Pritsche etwas näher an Rassuls, damit die anderen Häftlinge nicht durch ihre Unterhaltung gestört wurden.
    »Rassul, warum Husten alle Männer, auch wenn sie schlafen?«
    »Weil es feucht ist in der Baracke. Und dann der Staub im Berg.«
    »Wie alt bis du?«
    »Sechsundfünfzig-. Habe mich doch gut gehalten, nicht?« Alexander hörte ihn kichern.
    »Und warum bist du früher schon mal in einem Lager gewesen?«
    Rassul erzählte vom »Großen Vaterländischen Krieg«, in dem er drei Jahre gekämpft hatte, bis er in deutsche Gefangenschaft geriet. Das war 1944. Und als man ihn dort entließ, da glaubte ihm keiner. Dabei war er krank gewesen, schwere Lungenentzündung, und für die Deutschen zu einer Belastung geworden. Weil seine Landsleute meinten, er sei ein deutscher Spion, aus welchem Grund sonst habe er so ohne weiteres entlassen werden können, verurteilten sie ihn 1945 zu zehn Jahren strenger Lagerhaft. Rassul kam nach Workuta am nördlichen Polarkreis, auch Knochenstadt genannt, weil sie auf den Knochen von Hunderttausenden errichtet worden war. Rassul sprach von den Bergwerken, in denen sie zu tausenden die Kohle abbauen mussten. Ohne Hilfsmittel oder Geräte, ausgenommen Hammer und Meißel und einige wenige Helme, um die man sich stritt. Die Stollen wurden nicht abgestützt, und Loren zum Kohletransport unter Tage gab es nur hin und wieder. Esel und Menschen mussten die Kohle in Säcken auf dem Rücken bis zum Hauptschacht schleppen.
    »Alexander, im Winter habe ich monatelang nicht die Sonne gesehen. Was heißt Sonne, noch nicht einmal das Tageslicht. Ich kam mir vor wie lebendig begraben.«
    Oft sei es minus 40 Grad und kälter gewesen, da habe man sich richtig darauf gefreut, in den warmen Berg zu fahren.
    Rassul, der froh zu sein schien, dass ihm mal jemand zuhörte, berichtete über das Leben im Lager und in den Behausungen, die noch schlimmer gewesen seien als in 60/61. Und er erzählte vom Tod und seinen vielen grausamen Gesichtern. Die Gefangenen starben wie die Fliegen, aber das spielte keine Rolle. Nachschub gab es Ende der vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre genug, Stalin sorgte schon dafür.
    Nachdem Rassul geendet hatte, gab er Alexander noch einen Rat: »Morgen werde ich dir einige der schlimmsten Verbrecher zeigen, sie tragen fast alle ein Messer. Wenn einer von ihnen mit einem Wunsch an dich herantritt, erfülle ihn. Will jemand in der Pause deinen Platz haben, so steh auf und such dir einen anderen. Und wenn er dein Stück Brot fordert, gib es ihm. Alexander, du bist neu, sie werden dich zuerst einmal auf eine ihnen angenehme Größe zurechtstutzen. Wehr dich nicht, das macht es nur noch schlimmer.«

    Mitten in der Nacht wurden die Häftlinge geweckt. Auf dem Weg zum Zelt machten sie in einer

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