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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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Verletzung bewahrt hatte.
    »Gautulin, bitte.
    »Du hast bitte gesagt?«
    Pagodin nickte.
    Wenige Minuten später entspannte sich Alexander. Schönes, weißes, sauberes Bettlaken, eine weiche Matratze und ein freundlicher Sanitäter. Auch er ein Zivilist, wie die Ingenieure.

    Weihnachten. Ein Häftling erinnerte sich daran. Die Männer versammelten sich um einen stilisierten Weihnachtsbaum, den einer geschnitzt und mit vertrockneten Ästen versehen hatte. Ein anderer stellte einen Teller auf den Tisch, darauf einen Metallstab, an dem er ein in Öl getränktes Seil befestigte. Er zündete das Seil an, und es brannte wie eine Kerze. Leider war der Geruch weniger angenehm. Während die meisten schweigend um den Tisch hockten, begann einer zu singen.
    Nach und nach stimmten die anderen ein. Es war Semja, der einen Kamm aus der Hose zog, ihn in ein Strick Papier wickelte und auf dem Instrument zu blasen begann. Eine seltsame, eine unwirkliche Andacht hatte die Baracke erfasst. Die harten Männer, nicht alle waren Verbrecher, und trotzdem zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilt, versuchten mit weicher Stimme zu singen und hatten Tränen in den Augen. Wodka kreiste, Zigaretten wurden gereicht, beides eine Sonderration der Lagerleitung, und zur Verwunderung aller trug Aljoscha, der allgemein als Trottel der Truppe galt, ein Gedicht vor. Und anschließend noch eines. Dann wollte jeder wissen, wieso er denn so schöne Gedichte kenne. Weil er sie während des Studiums gelernt habe. Aber keiner hatte bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt geahnt, dass Aljoscha mal Student für russische Literatur gewesen war.
    Warum er denn nie etwas davon erzählt habe.
    »Mich hat keiner danach gefragt.«
    Die Häftlinge senkten beschämt den Kopf.
    »Weshalb sitzt du eigentlich?« Alexander hatte Aljoscha auf die Seite genommen und prostete ihm zu.
    »Weil ich ein Buch geschrieben habe, das ich nicht hätte schreiben dürfen.«
    »Los, mach mich schlauer.«
    »Ein Onkel von mir war bereits während des Krieges in einem Konzentrationslager, und darüber habe ich berichtet. Wegen hundert Seiten muss ich fünfzehn Jahre hinter Stacheldraht. Ökonomisch ist das Vorgehen des Apparates absolut richtig. Wozu unproduktiv erschießen, wenn man mich und meinen Körper noch Jahre ausbeuten kann.«
    Aljoscha klärte Alexander über die Entstehungsgeschichte von Arbeits-und Konzentrationslagern auf, das Thema seines Buches. Sie hätten eine lange Tradition, sagte er. Nicht nur in Russland, bereits die Buren in Südafrika kannten sie. Lenin und Trotzki seien für Russland die Erfinder der »konzentraziönnyie lägeri«. Die ersten beiden habe es 1918 während des Bürgerkrieges in Finnland und südlich von Leningrad gegeben. Später erst sei Nischnij Nowgorod hinzugekommen, das ehemalige Nonnenkloster. Heute heiße die Stadt Gorki. Bereits im Jahre 1923 habe man im Moskauer Adressbuch neun Lager namentlich aufgeführt. Das, was die Nazis - allerdings noch viel schlimmer - getan hätten, sei erst wesentlich später geschehen.
    »Und warum weiß von unseren KZs keiner was?«
    »Wir wissen vieles nicht, was in unserem Staat vor sich geht. Weißt du, nach welcher Mode gekleidet im Augenblick in Moskau die Mädchen herumlaufen?«
    Als Alexander nicht reagierte: »Das System kann deswegen existieren, weil die Sinnlosigkeit der Zwangsarbeit perfekt funktioniert.«
    Aljoscha glitt weiter in die Vergangenheit und kam, als gäbe es nur das Thema Gefangenschaft, auf die Kartoga zu sprechen. Abgesehen von der Todesstrafe war im zaristischen Russland Zwangsarbeit die wohl schwerste und unmenschlichste Art der Bestrafung.
    »Wir fuhren nur eine alte Tradition fort, Alexander, die bis auf die Tataren zurückgeht.«
    Einen Freund seines Vaters habe man vor dem Krieg in die Verbannung geschickt, sprach Aljoscha weiter. Er sei ein Politischer gewesen. Zuerst war es ihm verboten, sich in Moskau aufzuhalten. Später verschärfte man seine Strafe, er wurde einem bestimmten Gebiet zugeteilt, einem Dorf in Westsibirien, von dem er sich nicht weiter als 50 Kilometer entfernen durfte. Dort suchte er sich eine Wohnung und ließ seine Familie nachkommen. Der Staat versorgte ihn mit einem Taschengeld. Man genehmigte ihm auch, Briefe zu schreiben und zu empfangen. Aber sein Bekannter hielt sich nicht an die Auflagen und floh, denn die Polizei nahm es mit der Bewachung nicht sehr genau. Dann hätte sie auch viel zu tun gehabt, bei den vielen Verbannten.
    »Weißt du eigentlich, dass

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