Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
vegetieren, dann krepieren.« Hasserfüllt stieß Aljoscha die Worte aus, und Alexander war erstaunt, weil er dem Sanftmütigen eine solche Regung nicht zugetraut hatte.
    »Träumst du etwa noch von der Freiheit?«
    Alexander nickte. »Ja, jede Nacht. Und allein die Hoffnung auf die Freiheit lässt mich ... vegetieren.«
    »Dann wünsche ich dir viel Glück bei deinem Traum.«
    Noch etliche Flaschen Wodka wurden geleert, dann Abschied genommen, weg waren viele gute Kameraden.

    Bereits knapp eine Woche später merkte Pagodin, welch schlechten Tausch er gemacht hatte. Es gärte unter den Strafgefangenen, Rangeleien wurden ausgetragen, die Arbeit boykottiert. Den ganzen Winter über zog sich das hin, mehr und mehr bildeten sich Gruppen, die tuschelten, sich absonderten und den anderen mit Misstrauen begegneten. Linen loten gab es auch, erstochen, aber der Täter blieb unerkannt.
    Was zu diesem Zeitpunkt keiner wusste, war die Tatsache, dass alle Strafgefangenenlager, die im Sommer Nachschub an S1B 12 hatten liefern müssen, auf elegante Art und Weise ihren Abschaum losgeworden waren. Unter ihnen zuhauf Kriminelle der schlimmsten Sorte, die sich anfänglich noch wegen der guten Unterkunft, der ausgezeichneten Verpflegung, und weil sie in der Minderheit waren, ruhig verhalten hatten.
    Nun jedoch hatten sie das Sagen. Alexander und Klimkow fanden zwar uneingeschränkt Rückhalt in ihrer Brigade, aber was konnten knapp dreißig Männer schon gegen mehr als einhundertfünfzig ausrichten? Erst recht, als diese nach und nach alle Schlüsselpositionen besetzt hielten: angefangen in der Kantine, wo ganz offensichtlich die eigenen Leute bevorzugt wurden, bis hin zur Materialausgabe im Depot. Mit der Wachmannschaft legten sich diese finsteren Gesellen auch an. Zuerst gab es nur kleine Provokationen, dann hier ein freches Wort, dort einen Rempler. Der Streit fand einen vorläufigen Höhepunkt, als zwanzig der Blatnoij, mit denen sich Klimkow weigerte, verglichen zu werden, einen Unteroffizier und vier Soldaten krankenhausreif schlugen.
    Was niemand für möglich gehalten hatte: Das Wachpersonal bekam Angst vor den Insassen.
    Alexander wurde im Waschraum aufgelauert. Schmerzlich erinnerte er sich an seine Vergewaltigung vor zwei Jahren, als er die sechs Gestalten sah.
    »Du hast zwei Möglichkeiten«, eröffnete ihm ein gedrungener Kerl. Alexander wusste, er nannte sich Barkow.
    »Mit uns zusammenzuarbeiten oder über die Klinge zu springen.«
    Barkow zückte ein Messer, um seine Worte zu verdeutlichen.
    »Was habt ihr vor?«
    »Wir übernehmen das Lager.« Barkow kam auf Alexander zu. »Na, was ist?«
    »Wenn ich mich euch anschließe, wer hat das Sagen?«
    »Ich.«
    »Dann mache ich nicht mit.«
    Barkow gab ein Zeichen, die anderen stürzten sich auf Alexander und schlugen ihn zusammen.
    »Du kannst es dir noch mal überlegen«, höhnte Barkow und blickte auf die gekrümmte Gestalt am Boden. Blut breitete sich um Alexanders Kopf aus. »Ich gebe dir eine Woche.«
    Alexander rappelte sich hoch und wusch sich das Gesicht. Glutwellen durchzuckten seinen Körper, aber das kannte er noch von früher. Diese würde er auch überstehen.
    Als er Klimkow und den anderen von dem Überfall berichtete, war deren erste Reaktion: Nichts wie hin und es den Schweinen zeigen. Und genau in diesem Augenblick durchschaute Alexander die Taktik von Barkow. Zum einen wollte er, dass Alexander als Zeuge seine Brutalität dokumentierte, und zum anderen legte er es darauf an, Streit und Zwietracht unter den Gefangenen auf die Spitze zu treiben. Sie sollten sich gegenseitig anfeinden und Cliquen bilden, die bereit waren, aufeinander loszugehen.
    In der Folgezeit spazierten die Mitglieder der Brigade nur noch zu sechst und mehr im Lager umher. Barkow sah das und grinste, sein Plan war aufgegangen. An Alexander Tag ihm nichts, die Woche Bedenkzeit war längst verstrichen.

    Die Ruhe in Frühjahr und Sommer war unwirklich, die Strafkolonie in der Weite Westsibiriens glich einem Pulverfaß. Jeder der Insassen wusste, es würde irgendwann zu einer Eskalation kommen, aber niemand ahnte, zu welchem Zeitpunkt und aufweiche Weise. Pagodin wurde immer nervöser und forderte Nachschub an für die Bewachung, man lehnte ab. Im letzten Jahr sei er auch ohne ausgekommen, bekam er zu hören, da hätte es doch noch viel mehr Strafgefangene gegeben.
    Klimkow war inzwischen aufgefallen, dass etliche Werkzeuge im Materialdepot fehlten, darunter auffallend viele

Weitere Kostenlose Bücher