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Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
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jetzt?« Alexander sah Klimkow schräg an. »Fast alle, würde ich sagen. Hundert oder noch mehr.«
    »Schätze ich auch.«
    Dann schwiegen sie wieder. Überhaupt hatten sie sich wenig zu sagen. Sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren, das Gelände zu beobachten, war wichtiger.
    Als die Sonne aufging, schwenkten sie nach Osten, der goldgelben, blendenden Helligkeit entgegen. Sie durchwateten seichte Tümpel und hüfttiefe Rinnsale. Ihre Füße sackten in den teigigen Untergrund, und mit einem quatschenden Geräusch gab der Morast sie wieder frei.

Alexander schaure über die Schulter. »Tolle Spuren machen wir. Für jeden Blinden zu sehen.«
    »Ich würde auch lieber fliegen«, entgegnete Klimkow sarkastisch und gereizt.
    Die erste Rast machten sie gegen Mittag auf einem kleinen Hügel. So weit das Auge reichte, nur sanft gewellte, flache Kuppen, Gras und Himmel und Wasser. Die Freiheit strapazierte sie mit ihrer Unendlichkeit,
    Hastig schlangen sie einige Bissen hinunter, tranken dazu Wasser und ruhten einige Minuten. Anschließend ging es weiter. Klimkow voran, als wollte er beweisen, wie groß und stark er war, Alexander hinterher.
    Gegen Abend, ihr Atem ging keuchend, die Schritte wurden schwerer, hielten sie Ausschau nach einer Schlafstelle. Sie entdeckten einige Sträucher und legten die Zeltplane darüber.
    »War er verheiratet? «
    Klimkow packte den Proviant aus. »Natschalnik Pagodin? Ich weiß nicht.«
    »Er hat nie von seiner Frau gesprochen oder von Kindern.«
    Klimkow interessierte sich nicht sonderlich für das Thema.
    »Und nur einmal hat er, seit wir in Westsibirien sind, drei Wochen Urlaub gemacht.«
    »Weil er Angst hatte wegen der Konsequenzen aus dem Fernsehfilm. Nur so kann das System bestehen: Jeder hat Angst vor seinen Vorgesetzten, und die haben wiederum Angst vor dem Volk.«
    »Vielleicht war er gar nicht mal so schlecht.«
    Der Bärtige sah Alexander von der Seite an und schwieg.
    »Innerlich wird Pagodin einsam gewesen sein. Und sein brutales Verhalten mir gegenüber war nur ein Schutz, denn der Kampf gegen mich war im Grunde genommen sein Kampf, um sich vor dem unmenschlichen System zu behaupten.«
    Klimkow lachte hart. »Mach nur weiter. In wenigen Minuten hast du aus ihm einen Heiligen gemacht.«
    »Ich meine es einst. Warum sonst hat er uns zum Schluss geholfen? Seinen Ausweis, den er mir gab, und der Hinweis auf sein Büro mit der Pistole.«
    Klimkow sah das nüchterner. »Seine letzte Trumpfkarte im Angesicht des Todes. Wenn die Katholiken Recht haben, dann könnte es ja danach noch was geben. Deshalb vielleicht.«
    Alexander grübelte und versuchte, Pagodins Handlungsweise zu verstehen.
    Klimkow schnitt ein Stück Wurst ab und reichte es ihm. »Rede nicht soviel, spar deine Kräfte. In zwei Stunden geht's weiter.« »Aber es ist doch gleich dunkel.«
    Klimkow deutete kopfschüttelnd nach Süden. »Vollmond.«
    Milchig und kaum am Himmel auszumachen, erblickte Alexander die kreisrunde Scheibe. Er legte sich hin und schlief sofort ein.
    Klimkow weckte ihn, und es zeigte sich, dass er sich ausgezeichnet in der freien Natur zu bewegen und zu orientieren wusste. Weil er lange auf dem Land gelebt hatte, wie er sagte.
    Sie waren wieder unterwegs. Stunde für Stunde. Zwischendurch nur kleine Pausen, um zu verschnaufen und sich für wenige Minuten auszustrecken. Das tat gut, es beruhigte den Puls und die Lungen. Wo genau sie sich befanden, wussten sie nicht. Aber mindestens 30 Kilometer vom Lager entfernt, eher noch mehr, meinte Klimkow. Leider noch viel zu nah, um in Sicherheit zu sein.
    »Jetzt ein Fluss und ein Boot. Dann die ganze Nacht treiben lassen, das würde uns enorm helfen.«
    Früh am Vormittag gelangten sie tatsächlich an einen Fluss, der Karte nach ein Nebenfluss vom Kasym oder Polui. Aber leider entdeckten sie kein Boot. Und da sie beide total übermüdet waren, beschlossen sie, bis zum Einbruch der Nacht am Ufer zu bleiben. Wieder wurde die Plane aufgespannt. Sie wuschen sich die Füße und den Oberkörper, tauchten in das Wasser: eine unbeschreibliche Wohltat.
    Stunden später, die Sonne stand bereits tief im Westen, rollte Alexander den Regenmantel, auf dem er geschlafen hatte, zusammen und verharrte in der Bewegung. Erst schwach und in wenigen Sekunden zu einem Getöse anwachsend, vernahm er das Geräusch eines Flugzeugs. Und sofort setzte das Geknatter ein. Alexander sah Klimkow, der das Essgeschirr abwaschen wollte, die sanfte Uferböschung hinuntertaumeln, rote Flecken

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