Der Königsschlüssel - Roman
eigentlich anders vorgestellt, auch Equu hatte sie anders beschrieben, edler und heldenhafter. In den vorangegangenen Jahren hatte Cephei die Gastwirte beneidet, bei denen die Ritter nach dem Turnier eingekehrt waren, doch jetzt war der Neid nicht mehr so groß.
Nach dem Mittag war es ruhig in der Gaststube, Dorado erlaubte ihm sogar, sich eine Weile auszuruhen, und Cephei nutzte die Zeit, um in der Küche ein paar Scheiben Brot, etwas Fett und einen Krug Milch zu stibitzen, die er in einem Korb verstaute. Dann schlich er sich aus dem Haus und rannte die Straße hinunter, zurück zur Stadt, wobei ein paarmal fast der
Krug umgekippt wäre, aber Cephei hatte nicht genug Zeit, um langsamer zu laufen.
Nicht weit vom Stadttor entfernt befand sich hinter dem Weberhaus eine alte kleine Scheune, die niemand mehr benutzte, weil sie jeden Moment einzustürzen drohte. Equu hatte immer Witze gemacht, dass sie schon existiert haben musste, bevor der Mechanische König hier angekommen war. Aber das war natürlich Unsinn, dann wäre sie älter als die Erinnerungen aller, denn niemand erinnerte sich an die Zeit vor dem Mechanischen König. Vielleicht würde Cephei irgendwann einmal einen Chronisten fragen, ob es alte Aufzeichnungen aus der Zeit davor gab, aber eigentlich konnte er sich das gar nicht vorstellen.
Er öffnete das Tor und schlüpfte hinein. Einen Moment blieb er am Eingang stehen, bis die Schatten Formen annahmen und er Urs’ kräftige Stimme hörte.
»Komm rein, Junge, komm rein. Was hast du denn da? Das wird doch nicht etwa ein Korb mit Leckereien sein?«
In einer hinteren Ecke auf einem vergessenen Bretterstapel saß der Bär auf einer Decke und winkte zu Cephei herunter.
Er lief zu ihm und hob einen Arm, während er mit der anderen Hand den Korb hielt. Urs packte den Arm und zog ihn nach oben, bis Cepheis Füße über den Brettern schwebten, dann ließ er ihn vorsichtig herunter, und Cephei ließ sich neben ihm nieder und nahm das Deckchen vom Essen.
»Sind leider keine Leckereien, nur Brot, Fett und Milch. Mehr kann ich nicht mitgehen lassen, ohne dass es Dorado bemerkt«, sagte er, breitete das Deckchen vor Urs aus und legte alles darauf.
Der Bär antwortete nicht sofort, bis Cephei aufsah und bemerkte, dass Urs ihn anstarrte. Eine Pranke hob sich und legte
sich vorsichtig unter sein Kinn, drehte es erst nach rechts und dann nach links, und die Miene des Bären wurde finster. »Wofür hast du das denn gekriegt?«
Cephei war es peinlich, dass Urs ihn wegen des Veilchens ansprach, er hatte es schon vergessen, weil es wirklich nichts Neues war. »Ich bin zu spät vom Turnier wiedergekommen. Ist halb so wild.«
»Weil du mit mir unterwegs warst«, stellte Urs mit einem Seufzen fest.
Cephei antwortete nicht, es gab ja nichts zu erwidern, also zuckte er nur wie üblich mit den Schultern.
»Soll ich mal mit dem Wirt reden?« Urs kratzte sich am Kopf. »Ihm sagen, dass es nicht deine Schuld war - dass ich dich überredet habe, mit mir zu kommen?«
»Nein, lass mal, das macht ihn nur noch wütender. Ist wirklich in Ordnung, ich krieg das hin. Tut auch schon gar nicht mehr weh«, schloss Cephei und grinste, aber Urs lachte nicht zurück, sondern runzelte nur weiter die Stirn.
»Das ist nicht in Ordnung, und du weißt das auch«, sagte er stattdessen.
»Ich werde ja auch nicht ewig bei Dorado bleiben. Eines Tages bin ich Knappe bei einem Ritter, und dann bin ich für immer weg aus der Gaststube. Dann wird alles besser.« Er dachte noch einen Moment an den Wirt, dann rieb er sich mit dem Zeigefinger unter der Nase und zeigte auf das Essen. »Iss was, ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal etwas bringen kann.«
Urs entließ ihn endlich aus seinem prüfenden Blick und machte sich über die Brote her. »Ist doch wunderbar, reicht völlig. Wenn ich erst wieder auf Wanderschaft bin, dann jag ich mir einen Hasen oder einen Fisch oder - mit ein wenig Glück -
eine gepanzerte Hirschkröte. Das wird dann lustig, ich und das Feuer unter freiem Himmel, und nach dem Essen pfeif ich ein kleines Lied.« Mit der großen Pranke stopfte er sich Brot in den Mund und trank schlürfend aus dem Milchkrug, wobei ihm die Milch aus beiden Mundwinkeln ins Fell lief. Mit der Pranke wischte er darüber.
Cephei hatte Urs zur Scheune gebracht, weil der Bär in der Stadt kein Nachtlager gefunden hatte. Die Gasthäuser waren fast alle belegt, denn es waren sehr viele Leute aus dem ganzen Land zu Zeremonie und Turnier angereist, und
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