Der Königsschlüssel - Roman
dafür, du musst es doch gesehen haben. Niemand war auf diesen Vogel vorbereitet, und die Palastwachen haben auch nichts unternommen.«
Er versuchte sich zu erinnern, es war alles so schnell gegangen. Wahrscheinlich hatte sie Recht und der Mechaniker hätte wirklich wenig tun können. Der Vogel war einfach zu groß gewesen. »Ist er im Kerker?«
Sie nickte. »Nur der König kann ihn nach Ablauf eines Jahres
begnadigen, aber wenn der Schlüssel nicht wieder auftaucht, wird der König schweigen, und mein Vater wird hingerichtet.« Ihre Stimme war bei jedem Wort leiser geworden, bis Cephei sie fast gar nicht mehr verstand, aber er hatte es auch so begriffen.
Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, einen Vater zu haben, der einen liebte. Die Gaststube war zwar ein Zuhause, aber eben kein Heim, und Dorado hatte ihn zwar aufgezogen, doch er liebte den Mann ebenso wenig wie dieser ihn. Dennoch begriff Cephei, dass Vela an ihrem Vater hing. Cephei hing auch an manchen Dingen, und natürlich an seinem Freund Equu und an dem Erdwühler, vielleicht auch ein wenig an der Schusterstochter. Es würde ihn traurig stimmen und wütend, wenn ihnen etwas widerfuhr.
»Ich kann dir vielleicht helfen, Vela. Hast du Geld?«
Misstrauisch sah sie ihn an.
»Du musst wissen, von Ehre allein kann man kein Essen bezahlen«, sagte er und stieß sich von der Wand ab. »Wenn du bis in die Nacht wartest, bring ich dich zu jemandem, der dir helfen kann, aber du musst ihn bezahlen, sonst läuft nichts.«
Sie schien zu überlegen. »Wer ist das denn, der mir helfen kann?«
»Wirst du schon sehen. Hast du nun Geld? Keine Angst, ich will dich nicht ausrauben. Ehrenwort drauf.« Er streckte ihr die Hand entgegen, aber sie lachte nur kurz auf, es war kein freundliches Lachen, und er ließ die Hand wieder sinken. »Was denn, traust du mir etwa nicht? Du bist wirklich komisch, hab ich dir etwa nicht in der Nacht geholfen und heute auch wieder Bescheid gesagt? Du bist ganz schön undankbar.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und stand einen Moment lang wie eine Säule vor ihm, starr und kalt, und er wollte
sich schon umdrehen, aber dann schien sie sich zu besinnen und streckte die Hand aus.
Er ergriff sie. »Ich hol dich, wenn hier Schluss ist. Halt dich bereit.« Nach einem letzten Nicken lief er zurück zum Haus, das Blut rauschte ihm plötzlich in den Ohren, und er hatte das Gefühl, dass sich sein Leben gerade veränderte, genau jetzt. Etwas Großes würde passieren, Cephei konnte es geradezu riechen.
Ein paar Stunden und zwei kräftige Kopfnüsse später zog sich Cephei seinen Umhang über, der ihn vor der Kälte der Nacht schützte, und schlich sich erneut in den Stall, wo Vela, den Rucksack in der Hand, auf einem Strohballen schlief. Mit der Fußspitze stupste er sie an, bis sie aufschreckte.
»Lass uns gehen, wir müssen uns beeilen. Ich weiß nicht, wie lange er noch wach ist«, flüsterte Cephei.
»Wer denn?«
»Wirst du schon sehen.«
Wie Katzen schlichen sie durch die Nacht; sie blieb dicht hinter ihm, und auch, als er schneller rannte, verlor sie ihn nicht. Für ein Mädchen war sie flink. Mit Absicht lief er durch die düsteren Gassen, in denen Gauner die Laternen mit Steinen eingeworfen hatten, damit im Dunkel der Nacht manches geheime Treffen stattfinden konnte, ohne dass man dabei sofort gesehen wurde. Cephei wollte sehen, ob Vela hier Angst bekam. Aber sie rief nicht einmal seinen Namen oder fasste ihn am Ärmel, das war gut.
Die wirklich gefährlichen Gegenden mied er ohnehin. Er wusste, in welche Gassen man nachts besser nicht rannte, aber das waren nicht unbedingt die dunkelsten und dreckigsten. Er nahm ein, zwei Abkürzungen durch schmale Hinterhöfe und wählte
verwinkelte, unübersichtliche Gassen aus, um aus dem Weg ein großes Geheimnis zu machen. Schließlich war Marinth ja kein Wald, in dem man sich verlaufen konnte oder von wilden Tieren angefallen wurde!
Als sie die Scheune hinter dem Weberhaus erreichten, lauschte er einen Moment am Tor, aber von innen drangen keine Geräusche heraus, nur ein schwacher Lichtschein schimmerte unter dem Tor.
Er klopfte, dann trat er ein, und Vela folgte ihm. Urs saß wieder auf dem Holzstapel und sah ihnen entgegen. »Ich dachte schon, du hättest mich vergessen. Hast du mir wieder etwas zu essen mitgebracht?«, rief er fröhlich.
»Tut mir leid, Essen hab ich keins, aber vielleicht etwas Besseres.«
Neben ihm schnappte es hörbar nach Luft. Vela wich zurück, und
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