Der Königsschlüssel - Roman
Langt es nicht mehr, dass sie Tiere reißen? Ihr kalter Hauch ist fürchterlich. Die Sonne kriegt ihn einfach nicht weg.« Gedankenverloren rieb sie sich mit den Händen über die Oberarme.
Cephei erinnerte sich an diese Kälte, die er bei der Schlüsselzeremonie auch schon gespürt hatte.
»Gestern haben sie den Gerberjungen beim Milchstehlen erwischt und ihn über Nacht an der Pranger gestellt«, fuhr die Wirtin fort, als gäbe es da einen Zusammenhang. »Die Angriffe
des Klippengeiers und die Kälte sind einfach nicht gut für die Gemeinschaft.
Der Büttel hat gleich nach dem Angriff jemanden in die Königsstadt geschickt, damit wir Hilfe erhalten. Aber bis heute ist keine Hilfe gekommen, und auch Fabin ist noch nicht zurück. Wo sind denn die berühmten Truppen des Königs, wenn man sie braucht? Nicht einen einzigen Gesandten haben wir gesehen, nicht mal einen Chronisten, der aufschreibt, was hier passiert ist. Nur Fremde kommen zu uns. Als hätten wir so nicht schon genug Ärger. Nichts für ungut.«
Neben ihm rutschte Vela unruhig auf ihrem Platz hin und her, als Cephei sie jedoch fragend ansah, blickte sie auf die Tischplatte.
Ob der Bote je in der Stadt angekommen war?, fragte sich Cephei. Was, wenn er sich im Rauschwald verirrt oder Serpem ihn tatsächlich in eine Kröte verwandelt hatte? Und selbst wenn er es in die Stadt geschafft hatte - dort gab es jetzt andere Probleme als die Angriffe der Klippengeier auf ein kleines Dorf jenseits des Rauschwalds.
Dann dachte er wieder an die Knochen, die sie am Wegrand gefunden hatten, und schluckte. Fragend sah er zu Urs, doch der schien es für besser zu halten, der Frau nichts vom Diebstahl des Königsschlüssels zu erzählen. Vielleicht wollte er sie nicht noch mehr beunruhigen.
Die Kunde vom Schlüsselraub würde schon irgendwann hier ankommen, schließlich musste sich der Kanzler ja auch um den südlichen Teil des Reiches kümmern. Spätestens die Steuereintreiber würden davon berichten, obwohl Cephei sicher war, dass die Wirtin auf deren Anblick gern verzichtet hätte.
Als die Frau an einen anderen Tisch gerufen wurde, nickte
sie ihnen kurz zu und stand dann wieder auf, um sich um die anderen Gäste zu kümmern.
Nachdem sie gegessen hatten, führte sie ein schmächtiger Junge, der das gleiche rotblonde Haar wie die Wirtin besaß, in das Obergeschoss und zeigte ihnen eine Schlafkammer. Es gab nur ein schmales Bett, das sich Vela und Cephei teilen mussten. Urs wollte auf seiner Decke auf dem Boden schlafen - direkt an der Tür, so dass niemand sie unbemerkt aufstoßen konnte.
Nacheinander benutzten sie den Zuber, wobei Cephei und Urs auf dem Gang warteten, während sich Vela drinnen wusch. Beim Zubettgehen standen Cephei und Vela vor dem Bett und schauten unschlüssig auf die schmale Liege.
»Nun«, räusperte er sich. »Wenn du möchtest, kannst du an der Wand schlafen, dann kannst du wenigstens nicht rausfallen.«
Überrascht sah sie ihn an. Unter ihrem skeptischen Blick lief er rot an, und Urs hustete, dabei wusste Cephei genau, dass er nur versuchte, nicht zu lachen. Da wollte man einmal galant sein wie die Ritter bei den vornehmen Fräuleins, und schon wurde man ausgelacht!
Finster starrte er rüber zu Urs, bis Vela leise sagte: »Danke«, und ins Bett kroch.
Cephei legte sich nicht sofort neben sie, sondern setzte sich ans Fußende. An diesem Abend war ihnen allen nicht nach Geschichten zumute, selbst Urs kaute schweigend auf seiner Pfeife herum und brummte nur hin und wieder: »Verfluchter Klippengeier.«
Vela angelte aus dem Bett nach ihrem Rucksack und kramte die Kiste mit den Raumgeistern heraus. Sie schob die Kiste unter das Kopfkissen und flüsterte: »Wenn sie uns nachts bestehlen wollen, dann merken wir das wenigstens.«
»Wie wollen sie denn an Urs vorbeikommen?«
»Vielleicht kommen sie durchs Fenster?«
Dank dieser Frage schielte Cephei, nachdem sie die Kerze gelöscht hatten, immer wieder zum Fenster hinüber. Sein linker Arm, das Knie und der linke Fuß berührten Velas rechten Arm, das Knie und ihren linken Fuß. Das machte ihn so nervös, dass es lange dauerte, bis er schließlich einschlief.
Als sie am nächsten Morgen erwachten, lag Velas Kopf an seiner Schulter, aber als sie es bemerkte, rückte sie schnell von ihm ab und kroch aus dem Bett. Die Nacht war ruhig gewesen, und alle ihre Habseligkeiten lagen noch unberührt dort, wo sie sie hingelegt hatten.
Nach einem schnellen Frühstück verabschiedeten sie sich von
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