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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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letztes Mal wird er entkommen.
    »Ich komme ein andermal wieder«, ruft der junge Mann.
    »Wieso?« Rhett dreht das Wasser in der Dusche auf. Es gibt kein Fenster. Er ist kein Held.
    »Weil du meine Erwartungen untertriffst.«
    »Geht denn das?«
    »Verkotzt und verkatert.«
    Rhett sieht sein Gesicht im Badspiegel. Er lässt sich nicht unterbuttern.
    »Kauf dir doch einen aufblasbaren Vater.«
    Der junge Mann scheint verblüfft. Vielleicht ist er sogar beeindruckt. Rhett jedenfalls ist beeindruckt. Der junge Mann lässt die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen.
    »Eigentlich will ich gar nicht zu dir«, sagt er. Er läuft durch die Wohnung, mit wehendem Mantel und suchendem Blick. »Ich will zu Sonnie. Wo ist sie?«
    Rhett dreht den Duschhahn mit einem Ruck auf. Der Ruck gibt ihm das Gefühl von Tatkraft und Entschlossenheit. Kaltes Wasser schießt heraus. »Wo der Pfeffer wächst«, sagt Rhett.

DREIZEHNTES KAPITEL
    Leipzig. Eiskalt weht es Sonnie in die Ärmel, in den Kragen, unter den Rock. Sie steht vor dem Flughafen. Keine Stadt in Sicht. Der Himmel ist bewölkt. Die vorherrschende Farbe ist ein fades, undurchsichtiges Achtzigerjahre-Grau. Sonnie klammert sich am Griff ihres karierten Koffers fest. Der Nebel im Handspiegel. Der Schatten der Mutter. Das Pendel. Der Himmel verdunkelt sich in Sekundenschnelle.
    »’s pisst glei«, sagt neben ihr ein Sachse.
    Sonnie wird von Panik erfasst, Panik, dass der Kreis sich schließt.
    Sie öffnet den Mund und spricht die ersten Worte auf deutschem Boden.
    »Vielleischt donnort’s sogar.«
    Sonnie erschrickt. Sie hat gesächselt. Sie biedert sich an. Ihr Blick fällt auf einen kleinen Mann in Pelerine. Ein kleiner alter Mann mit großer Nase und Bart und Pelerine. Er sieht aus wie Herr Bulemann aus Storms Märchen im Buch in ihrem Koffer. Herr Bulemann, der niemals stirbt und immer kleiner wird.
    Der Mann mit Pelerine hebt den Arm.
    Es ist der Vater.
    Sonnie geht auf den Vater zu.
    Die heimkehrende Tochter. Der ferne Vater. Sonnie fragt sich, wie sich die Wange des Vaters anfühlen würdean ihrer. Wie sein Hinterkopf sich anfühlen würde in ihrer Hand. Wird sie ihn umarmen? Wird nun die Umarmung stattfinden, die nie stattgefunden hat? Wird sie erlösend sein oder deplatziert? Sonnies Herz schlägt zum Zerspringen. Sie ist gerührt. Sie wird den Vater umarmen. Sie wird ihm einen späten Enkel schenken. Sie wird ihm den Haushalt führen. Sie wird ihm die Patchworkdecke um die schmächtigen Schultern legen, wenn er friert. Sie wird ihm Reiterchen machen, wie die Mutter früher. Das hat der Handspiegel gemeint, als er mir das Gesicht meiner Mutter zeigte, denkt Sonnie, während sie auf den Vater zugeht, der näher kommt, aber nicht größer wird, der fern bleibt wie eine Fata Morgana. Vata Morgana …
    Der Vater reicht ihr die Hand.
    Das schöne Händchen.
    Sonnie ist froh, dass der Vater ihr die Hand reicht. Wie unangemessen eine Umarmung wäre. Wie klein und kalt die Hand des Vaters ist. Wie dünn seine Lippen, wie glanzlos seine Augen. Sonnie möchte weglaufen. Der Vater nimmt ihren Koffer. Er stutzt. Er erkennt den kleinen karierten Koffer. Erkennt er ihn? Hat er ihn ihr ausgesucht? Er sagt nichts. Er packt ihren Koffer in den Kofferraum.
    Sonnie steigt auf den Beifahrersitz. Die ganze Welt ist ein Kofferraum, denkt sie. Elvira steht ihr vor Augen. Wie sich der Vorhang öffnet und die Regale voller Koffer zum Vorschein kommen. Elviras Kofferraum ist die Welt.
    Erschrocken stellt Sonnie fest, dass der Vater bereits redet. Er sächselt. Er benutzt viele Substantive. Er hat ihr eine Frage gestellt. Nun herrscht Stille. Er wird sieetwas gefragt haben, das keine Kenntnis ihrer Person erfordert, ob sie die Hausaufgaben gemacht hat, das Abendbrot aufgegessen, wie der Flug war.
    Sie erzählt, wie der Flug war. Sie spricht leise und hastig. Sie macht viele Worte. Kantig kommt das Deutsche aus ihrem Mund. Nur keine unbehaglichen Pausen. Sie plappert! Sie kann nicht aufhören! Der Vater neben ihr, Bulemann in der Pelerine, sitzt, schaltet den Blinker an, schaltet den Blinker aus, schaltet die Scheibenwischanlage an, schaltet die Scheibenwischanlage aus, schweigt.
    An eine Betonwand neben der Autobahn hat jemand gesprüht: AMI GO HOME.
    Da sagt der Vater: »Dich interessiert natürlich nicht, wie es Oma geht.«
    Sonnie schweigt.
    Natürlich nicht.
    Sie ist wieder das dicke Kind. Tollpatschig. Ungeschickt. Taktlos. Desinteressiert. Für nüschte.
    »Natürlich interessiert

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