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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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wäscht sich häufig die Hände. Sonnie verspürt den Wunsch, allein zu sein. Wie sehr hat sie sich gesehnt, jahrelang, ihn endlich zu haben, nicht mehr teilen zu müssen, herzeigen zu können. Wie viel Kraft und Zeit hat es sie gekostet, ihm abzutrotzen, was man hier Commitment nennt.
    »Das hast du nicht getan! Nicht wegen einer Kakerlake! Wir sind hier in New York!« Sonnie ist eine Zugereiste. Sie hat eine romantische Sicht auf New York.
    »Was soll dieser Satz?«, sagt Rhett. »Warum sagt jeder, wenn ihm die Argumente ausgehen, ›Wir sind hier in New York‹?«
    Rhett ist hier geboren. Er hat eine pragmatische Sicht auf New York.
    »Jetzt sei mal nicht albern. Wir sind hier in New York! Da gehören Kakerlaken zur Familie. Und jetzt sei so lieb, geh runter und hol mir den Koffer.«
    Es ist eine ihrer wenigen Gemeinsamkeiten, dass sie im Zusammenhang mit New York schnell emotional werden.
    »Ich bin nicht so lieb …« Rhett macht Sonnie nach. »… ich hole dir den Koffer nicht. Diese Wohnung ist insektenfrei, und sie wird es auch bleiben.«
    Stille.
    Rhett geht Hände waschen. Sonnie läuft ihm nach.
    »Wo ist er?«, fragt sie, provoziert von Rhetts Händewascherei. »Ich hab dich was gefragt!«
    »Im Hof neben den Mülltonnen.«
    Rhett steht jetzt im Türrahmen. Sie drückt ihn mit dem Hintern aus dem Weg und geht barfuß zum Fahrstuhl.
    »Wenn du den Koffer in unsere Wohnung bringst«, ruft er ihr nach, »brauchst du mit mir heute nicht mehr zu rechnen.«
    Die Fahrstuhltür springt auf. Gong steckt das knochenlose Flundergesicht heraus.
    »Letzte Fuhle!« Gong klopft auf seine gefälschte Rolex.
    »Einmal noch hoch?«, fragt Sonnie. Gong kichert, als könne er speziell Sonnie nichts abschlagen.
    »Balfuß?« Gong zeigt auf Sonnies nackte Füße. Sie nickt. Alles scheint sich aufs Günstigste zu fügen. Sie will Rhett ja nur für heute loswerden, nur für einen Abend. Das ist ihr Koffer, sie hat ihn gefunden, sie hat ihn im strömenden Regen erkämpft, sein Inhalt geht nur sie etwas an. Später bei der Versöhnung mit Rhett – auf Anfrage auch nackt – wird sie sagen, er hätte ihr keine Wahl gelassen mit seiner albernen Entscheidungsfrage.
    Im Hof zerfetzt ein Hund eine Bush-Gummipuppe.
    Der Rasen ist kühl, feucht, stachelig. Der Koffer leuchtet blutrot neben den Mülltonnen. Kinder in zu großen Sachen streichen um ihn herum. Sonnie verscheucht sie, packt ihn, läuft zurück ins Haus, steigt in den Fahrstuhl, kurzatmig vor Gier. Sie hat ein Faible für alte Koffer. Es ist ihre Patina, das Gewesene, Weitgereiste, das sie wehmütig macht und erregt.
    »Velleisen?« Gongs Augäpfel bewegen sich unter den Hautwülsten seiner verquollenen Augen wie Parasiten. Sonnie stellt den Koffer ab und pustet sich die Haare aus dem Gesicht. Tagelang hatte sie ihn komplett vergessen, jetzt will sie keine Sekunde länger warten.
    Ein junger Mann in einer beklecksten Latzhose lümmelt vor einer Staffelei, Pinsel in der rechten Hand, Zigarette in der linken.
    Sonnie trägt den Koffer an dem Latzhosenmann vorbei.
    Sonnie trägt den Koffer an Rhett vorbei.
    Rhett steht im Loft. Seine hechtgrauen Augen flackern.
    Er reibt sich den Sieben-Tage-Bart und dreht seinen Borsalino in der Hand.
    Über die mimische und gestische Darstellung seiner Unentschlossenheit hat Rhett vergessen, was er eigentlich wollte.
    »Letzte Fuhle«, quengelt Gong und klopft auf sein Handgelenk.
    Rhett erinnert sich. »Ich komme!« Seine Rückenwirbel drücken sich durch den Trenchcoat.
    Nanu, denkt Sonnie, wo geht er hin? Er hat keine Stammkneipe, er hat keine Freunde, der Botanische Garten ist schon zu.
    Die Wohnungstür fällt ins Schloss. Sonnie hat Rhett vergessen. Sie kniet sich hin. Sie beugt sich über den Koffer. Die Haare fallen ihr ins Gesicht.
    Die Hände gleiten über die rote Bakelithaut.
    Wunde Kuppen betasten rostige Schlösser.
    Sie wollen sie öffnen, aber rutschen ab und hinterlassen feuchte Spuren.
    Sonnie ist von Geburt an ungeschickt. Sie verwechselt links und rechts. Sie parkt ein wie der erste Mensch. Sie kriegt keinen Nagel in die Wand. Sie kann kein Blut sehen. Zwei linke Hände eben. Typisch Frau. Weibliche Klischees. Zum Kotzen.
    Aus der Küche, die nicht mehr als eine Nische ist, holt sie das Messer. Rhett und sie hatten Hab und Gut bei ihren Partnern zurückgelassen. Morgens um drei hatten sie bei Key Food neues Besteck gekauft, kichernd wie ein Studentenpaar. Dazu ein Küchenmesser für 2,99 Dollar, das den Vermerk »sehr

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