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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Warum kein Vatermord? Hat er nicht auch einen Vatermord begangen?
    Rhett hat das unsinnige Bedürfnis, »Somethin’ stupid« zu summen.
    »Ich bin gekommen, um dich zu töten«, sagt sein Sohn. »Zwanzig Jahre habe ich darüber fantasiert, ein Loch in deinen Kopf zu schießen.«
    Na, mach doch, denkt Rhett. Red nicht so viel.
    »Aber jetzt sehe ich: Du lebst ja gar nicht. Du hast nie gelebt.«
    Der junge Mann legt den Revolver aufs alte Parkett und erhebt sich vom Umzugskarton. Er geht zur Tür. Er dreht sich um. Er ruft: »Sonnie hat einen geilen Arsch.« Dann knallt die Tür.
    Rhett summt »Somethin’ stupid«.
    Der Vater parkt das Auto pedantisch ein. Sonnie holt tief Luft und öffnet die Wagentür. »Seifen Ludwig« steht da noch. Nur der Laden ist weg. Es riecht nach nassem Pflaster und verbranntem Frittenöl. Für eine Zehntelsekunde ist da ein Erinnerungsfetzen. Sonnie fängt ihn nicht. Er fliegt weg wie Asche im Wind. Der Vater holt den Koffer aus dem Kofferraum und sagt: »Da wären wir.«
    »Ja«, sagt Sonnie, und weil das »Ja« ihr zu dürr erscheint, fügt sie »schön« hinzu. Dabei ist es gar nicht schön.
    Das Mietshaus, in dem sie aufwuchs, der feindselige Vater neben ihr, die sterbende Großmutter, auf die sie sich zubewegt, Stufe um Stufe. Sonnie kann keine Luft atmen außerhalb New Yorks. Deutschland drückt ihr auf den Brustkorb, auf die Stirn.
    Doch als sie ihren Vater an der Bewegung wiedererkennt, mit der er den Schlüssel ins Schloss steckt, ein linearer und schwungvoller Stoß, der gar nicht zu ihmpasst, der noch nie zu ihm passte, bleibt ihr Herz stehen. Vielleicht, denkt sie, wird doch noch alles gut. Dann öffnet der Vater die Tür.
    Siebzigerjahre-Tapete.
    Verbrauchte Stubenluft.
    Vergeblichkeit.
    Sonnie tritt ein. In ihrem Kopf tanzen Bilder und Begriffe.
    Apfelkompott. Die Häkeldecke. Der Großvater hat den Kohlrabi durchgeschnitten. Beuys ist ein Feldhase. Der Koffermann stirbt. Die Großmutter stirbt.
    Kommst sowieso bald wieder.
    Die Dielen knarren. Der Vater stellt den Koffer ab und schaltet den Fernseher an. Ein Sprecher verliest die Nachrichten. Ein Foto von George W. Bush wird gezeigt. Auf dem Fernseher steht ein Jugendfoto der Mutter. Beide Gesichter ähneln sich. Die eng stehenden Augen, das Flackern der Ratlosigkeit dahinter, das grimassenhafte Lächeln.
    Wie gefallen Euch diese Augen, schöne Gräfin?
    Die Augen würden mir besser noch gefallen, wenn sie geschlossen wären.
    Sonnie setzt sich auf die Couch, auf der die Häkeldecke liegt. Die Couch, die wartet auf Dalli Dalli , Der goldene Schuss , Ein Kessel Buntes , Außenseiter Spitzenreiter , Zwischen Frühstück und Gänsebraten , die Couch, auf der gleich, links und rechts von ihr, die Mutter und die Großmutter Platz nehmen würden.
    Für nüschte.
    Sonnie hatte der Großmutter oft den Tod gewünscht. Sie hatte auf Knien gelegen, als der Großvater im Krankenhauslag, hatte gebetet, dass der Tod statt seiner die Großmutter holen solle. Aber die war ja nicht totzukriegen.
    Hatte Sonnie auch den Tod ihrer Mutter gewünscht? Es gab drei Versionen des Muttertodes. Sie hat nicht gelitten, hatte der Vater gesagt. Sie fiel einfach um, in der Küche, beim Abwasch.
    Sonnie geht in die Küche. Ein Berg von Abwasch türmt sich im Becken. Teller. Tassen. Die Frühstücksbrettchen. Frühstücksbrettchen mit eingebrannten Namen. Rouladenspieße, in Buchstabenform gebogen, über die Gasflamme gehalten. Buchstaben eingebrannt. MUTTI VATI SONJA OMA OPA. Die ganze Familie. Die Brettchen sind noch da, die Familie schrumpft, stirbt weg, war nie da, war nie das, was die Brettchen vorspiegeln.
    Ramponiert sind sie alle, die Brettchen und die Familienmitglieder: zersäbelt, zerhobelt, rissig, verzogen, dunkel und abgegriffen.
    Die Mutter ist fremd geblieben, ist tot, der Großvater ist nur noch ein Geist, der nach Pfeifentabak riecht, die Großmutter stirbt im Nebenzimmer, Sonnie hat ihr Herz in der Fremde deponiert, und der Vater schrumpft und ist saftlos, ohne Lachen, ohne Freunde, ohne Frau, allein. Sonnie fegt mit der Hand die Krümel auf der Arbeitsplatte zusammen.
    Ein Blutgerinnsel im Hirn. Die Mutter hatte ein Blutgerinnsel im Hirn, irgendwo unterm Dutt, hinterm Ohr. »Sie hat ihren großen Auftritt gehabt«, hatte die Großmutter gesagt.
    In der Tat, im Leben von Sonnies Mutter war einplötzlicher Hirnschlag in der Küche das Dramatischste, was je passiert war.
    Der Vater steht in der Tür.
    »Hast du Mutti damals gefunden?«,

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