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Der Koffer

Der Koffer

Titel: Der Koffer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Buschheuer
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Flughafenbeamte. Aber wozu? Zur Ausreise? Zur Schwangerschaft?
    »Sie sehen keinen Tag älter aus als dreißig.«
    Ach, zum Geburtstag. Die amerikanische Verlogenheit kotzt Sonnie an. Erstmals. Auf einmal. Warum bloß? Sie hat sie immer gemocht. Sie hat sich immer einlullen lassen von ihr, tragen lassen. »Das ist eine Lüge«, entfährt es ihr. Es tut ihr im selben Moment Leid. Was kann der Mann für ihre Misere? Er wollte doch nur freundlich sein. Er weiß es nicht besser. Er lächelt sie verunsichert an, mit leichtem Zittern in den Mundwinkeln. Er ist höchstens dreißig, mit schwarzen, lockigen Haaren, und seine Wangen färben sich rot. Mulatte, hätten wir früher gesagt, denkt Sonnie. Neger, Mulatten, Polacken, Zigeuner, Liliputaner – sie geht zurück ins Land der antiquierten Begriffe. Sie geht vom Land der unbegrenzten Möglichkeit ins Land der unverstellten Mürrischkeit.
    Business Class, wenn schon Rhetts Kreditkarte. Sonnie geht in die Lounge und trinkt in zehn Minuten drei Plastikbecher Weißwein. Sie sucht ein Kreditkartentelefon und wählt eine Nummer.
    »Vati? Ja, Sonja. Ich komme morgen elf Uhr fünf in Leipzig an. Ja, Flughafen … Das ist nett … Bis dann.«
    Vor dem Fenster rangieren Flugzeuge. Silberne Leiber. Gefräßige Schnäbel. Monströse Vögel aus dem Genlabor.Sonnie stellt sich Versöhnungsumarmungen vor, mit der Großmutter, mit dem Vater. Sonnie stellt sich eine Hochzeit vor, in einer Kirche, in Weiß, sie hochschwanger, Rhett mit Borsalino.
    Der Schnee taut weg.
    Manhattan taut weg.
    Rhett in Harlem. Der Doorman meldet ihn an. Ellis noch nicht da. Die Empfangsdame, eine riesige Jamaikanerin, fragt, ob Rhett einen Termin hat.
    »Nein.«
    Rhett ist erstaunt, überhaupt eine Empfangsdame zu sehen. Bisher ist er hier nur außerhalb der Geschäftszeiten aufgetaucht. Bisher hatten die Treffen mit Ellis die Anmutung von privaten Treffen. Nun sitzt er in einem Wartezimmer und blättert in Zeitschriften wie ein Patient. Wer diese Zeitschriften wohl schon in den Händen gehalten hat?
    »Wo kann man sich hier die Hände waschen?«, fragt er die Empfangsdame, die gerade ein Gesäß an ihm vorbeischiebt, das er als bauchige Tafelbirne bezeichnen würde.
    Alles ist anders bei Tageslicht. Die rostigen Flachdächer, die ameisenkleinen Menschen, die gelben Taxis. Rhett läuft an der verglasten Front vorbei, an der sich gerade ein Fensterputzer abseilt. Für den Bruchteil einer Sekunde sieht er dem Fensterputzer, der wie eine rotbäckige Libelle zwischen Empire State und Chrysler Building schwebt, direkt in die Augen. Der stellt sich auch nicht infrage, denkt Rhett, während er reflexhaft lächelt und nickt. Der Fensterputzer verzieht keinenMuskel im schwitzenden Gesicht. Ein Schreck durchzuckt Rhett. Er verachtet mich, denkt er und zieht die Schultern noch weiter nach vorn, den Kopf noch mehr ein.
    Ellis kommt, im eiligen Schritt kleiner Erfolgsmänner. Er trägt einen gut sitzenden Anzug und sein joviales Lächeln. Er nimmt Rhett sofort mit ins Büro, als habe er ihn erwartet. Rhett erzählt los, noch bevor er sitzt. Dass er getrunken hat, dass ein Sohn aufgetaucht ist, dass er Vater wird, dass Sonnie ihn betrogen hat, dass er Sonnie betrogen hat. Ellis zieht das Jackett aus, bestellt per Telefon bei der Empfangsdame, die er Nancy nennt, einen Kaffee, fragt Rhett, ob er auch einen Kaffee will und wie er ihn will, mit normaler Milch, Kaffeesahne, entfetteter Milch, Sojamilch.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragt Rhett gekränkt, denn diesmal steht sein Notfall zweifelsfrei fest. Im selben Moment hangelt der Fensterputzer sich herüber und wienert mit unbewegtem, rotfleckigen Gesicht. »Den habe ich vorhin angelächelt, aber er hat nicht zurückgelächelt«, hört Rhett sich sagen.
    »Mann Gottes, die Scheiben sind außen verspiegelt. Der Mann sieht dich gar nicht. Der sieht nur das Glas«, sagt Ellis und nimmt auf seinem hochlehnigen Stuhl Platz.
    Die riesige Empfangsdame bringt zwei Tassen Kaffee. »Danke, Nancy«, sagt Ellis, der in ihrer Gegenwart noch kleiner scheint. Er wartet, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hat.
    »Und, ja, Rhett, ich höre dir zu. Ich habe dir immerzugehört, auch mitten in der Nacht, auch kurzfristig, auch wieder und wieder dasselbe. Ich möchte jetzt nicht sagen: Ich hab’s kommen sehen. Ich möchte jetzt nicht fragen: Hast du mir zugehört? Ich bin jedenfalls nicht verwundert.«
    Sie trinken Kaffee. Sie sehen aus dem Fenster, Rhett leicht gekränkt, und

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