Der Kojote wartet
oder quadratisch?«
»Rund«, sagte Mary Keeyani. »Soviel ich weiß, ist ein Kuchen dringewesen. Oder Plätzchen.«
Joe Leaphorns Neugier lag in heftigem Streit mit seinem Pflichtbewußtsein. Was war das für ein Metallkasten auf der Kommode? Zuletzt entschied er sich für einen Kompromiß.
»Mrs. Keeyani. Was hat es mit dem schwarzen Ding dort drüben auf der Kommode auf sich? Neben der Zigarrenkiste.«
»Das ist ein Kassettenrecorder«, antwortete Mary Keeyani. Sie nahm ihn von der Kommode, kam damit zur Tür und reichte ihn Leaphorn zusammen mit einem Plastikbeutel mit fünf Kassetten. »Mein Onkel hat ihn oft benutzt. Um Aufnahmen für die biligaana zu machen, für die er gearbeitet hat.«
Professor Bourebonette erschien an der Küchentür. In den Händen hielt sie eine runde Blechdose, deren Deckel mit aufgedruckten roten Rosen verziert war.
»Das ist sie!« rief Mrs. Keeyani aus.
Der Kassettenrecorder war ein sperriges, schweres Gerät, wie sie vor etwa zwei Jahrzehnten verkauft worden waren. Er enthielt eine Kassette. Leaphorn drückte auf die Abspieltaste und hörte das leise Surren, mit dem leeres Band am Tonkopf vorbeilief. Er betätigte die Stoptaste, betätigte Rücklauf, wartete ab, bis die Kassette völlig zurückgespult war, und drückte erneut auf die Abspieltaste.
Aus dem Lautsprecher drang die Stimme eines alten Mannes, der navajo sprach.
»Sie sagen, daß Kojote lustig ist, das sagen manche dieser Leute. Aber die Alten, die mir die Geschichten erzählt haben, die hielten Kojote nicht für lustig. Kojote hat immer für Streit gesorgt. Er war böse. Er hat Unfrieden gebracht. Er hat Menschen verletzt, manche sogar in den Tod getrieben. So heißt's in den Geschichten, die meine Onkel mir erzählt haben, als ich noch ein kleiner Junge war. Diese Onkel, die haben gesagt... «
Professor Bourebonette stand jetzt neben ihm. Der Lieutenant drückte auf die Stoptaste und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Diese Geschichte hat er für mich erzählt«, erklärte sie ihm. »Ich hatte ihn darum gebeten. Wie weit er wohl gekommen ist?«
»Ashie Pinto? Für Ihr Buch?«
»Nicht direkt. Er hat mir erzählt, er kenne die authentische Originalfassung eines der Kojotemythen. Die Geschichte von den rotgeflügelten Amseln und dem Spiel, das sie mit ihren
Augäpfeln spielen. Wie die Vögel sie hochwerfen und wieder auffangen - und wie Kojote sie dazu zwingt, ihn das Spiel zu lehren.« Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. »Sie kennen die Geschichte?«
»Ich habe sie schon mal gehört«, antwortete Leaphorn. Er starrte die Blechdose in ihren Händen an. »Haben Sie vor, Mr. Pintos Dose zu öffnen?«
Louisa Bourebonette schien seine Frage als Mißbilligung auszulegen. Sie betrachtete erst die Blechdose und dann Leaphorn, bevor sie sagte: »Ich gebe sie einfach Mary. Sie ist seine Nichte.«
Mrs. Keeyani hatte anscheinend keine Bedenken. Sie öffnete resolut den Deckel. In der Blechdose sah Leaphorn ein Durcheinander aus Papieren aller Art: Briefumschläge, Rechnungen, Fahrzeugpapiere und andere Schriftstücke. Mary Keeyani stellte die Dose auf den Tisch, wo die Professorin und sie in ihr herumkramten.
»Hier ist ein Brief von mir« sagte Bourebonette und zog einen Umschlag heraus. »Und noch einer.« Sie sah zu Leaphorn hinüber. »Das sind bereits alle. Wir sind ohne viel Schriftverkehr ausgekommen.«
Pintos Nichte hörte zu kramen auf. »Das sind alle, die er dieses Jahr bekommen hat«, sagte sie und hielt zwei Briefumschläge hoch. »Frühere brauchen uns nicht zu interessieren.« Sie zog ein Blatt Notizpapier aus dem ersten Umschlag, überflog den Text, steckte es dann wieder in den Briefumschlag und legte ihn zurück in die Dose. Nachdem sich dieser Vorgang wiederholt hatte, verschloß sie die Blechdose und machte ein enttäuschtes Gesicht.
»Nichts Brauchbares?« erkundigte sich Bourebonette. Nichts Besonderes, hatte Mary Keeyani zugestimmt. Nichts, was einen Hinweis darauf geben konnte, wer diesen holprigen Weg entlanggefahren war und einen alten Mann quer durch das Reservat transportiert hatte, damit er einen Mord verüben konnte. Während Leaphorn jetzt langsam den holprigen Weg zurückfuhr, versuchte er, seine Reaktion auf die Ereignisse dieses Tages zu ergründen. Alles war wie erwartet ausgegangen - und trotzdem fühlte er sich enttäuscht. Warum? Er hatte nicht damit gerechnet, daß die Durchsicht von Pintos Unterlagen - falls er überhaupt welche besaß - aufschlußreich sein
Weitere Kostenlose Bücher