Der Kojote wartet
sich abgesetzt zu haben«, antwortete Leaphorn. »Ich habe dieselben Auskünfte bekommen.«
»Er ist verschwunden?« fragte Dr. Bourebonette ungläubig. »Sucht die Polizei ihn?«
Das war etwas, das stets erklärt werden mußte. Er setzte es ihr geduldig auseinander.
»Bei Erwachsenen läuft das anders. Jeder von uns hat ein Recht darauf, unterzutauchen, wenn er will. Das geht niemanden außer dem Betreffenden selbst etwas an. Die Polizei schreitet nur dann ein, wenn eine Straftat vorliegt. Oder wenn sie Anhaltsgründe für ein Verbrechen hat.«
Sie betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Hier liegt eindeutig eine Straftat vor. Und ist Tagert nicht ein höchst wichtiger Zeuge?«
»Schon möglich«, antwortete der Lieutenant. »Aber vorläufig sieht es nicht so aus. Die Tat, um die es hier geht, ist der Mord an Delbert Nez. Und nichts deutet darauf hin, daß Tagert etwas damit zu tun gehabt haben könnte. Absolut nichts! «
Während sie aufmerksam zuhörte, blieb ihr Blick auf Leaphorn gerichtet, aber sie war in Gedanken offensichtlich woanders. Dann nickte sie, als stimme sie irgendeiner insgeheim angestellten Überlegung zu. Leaphorn beobachtete sie. Was dachte sie? Bestimmt etwas Intelligentes, davon war er überzeugt. Er wünschte sich, dieser Gedanke würde zu irgendeiner Äußerung führen, die einen Hinweis auf den Grund ihres Kommens liefern würde.
»Haben Sie schon daran gedacht, daß Tagert tot sein könnte?« fragte sie. »Haben Sie sich schon überlegt, daß der Mörder des Polizeibeamten auch Tagert ermordet haben könnte? Haben Sie sich darüber bereits Gedanken gemacht?« Der Lieutenant nickte wortlos.
Louisa Bourebonette saß wieder schweigend da und überlegte. Lange Pausen schienen sie nicht zu stören. Ungewöhnlich bei einer Weißen. Auf dem Gang ertönten Schritte, dann fiel eine Tür ins Schloß. Professor Bourebonette trug irgendein Parfüm. Es duftete sehr, sehr schwach. So schwach, als bilde Leaphorn es sich nur ein.
»Der Prozeß sollte verschoben werden«, sagte Bourebonette plötzlich. »Bis Professor Tagert gefunden ist.« Sie starrte Leaphorn fordernd an. »Wie können wir das erreichen? Jedenfalls kann gegen Mr. Pinto nicht verhandelt werden, bis nicht sämtliche Umstände bekannt sind. Im Augenblick weiß niemand, was dort draußen wirklich passiert ist.«
Der Lieutenant zuckte mit den Schultern. Aber sein Schulterzucken reichte nicht aus.
»Ich glaube, daß wir verlangen können, daß wenigstens die einfachsten Anstrengungen für einen fairen Prozeß unternommen werden«, sagte Bourebonette steif. »Das ist vor allem auch Mr. Pintos gutes Recht.«
»Ich gebe zu, daß mir etwas gründlichere Ermittlungen ebenfalls lieber gewesen wären«, antwortete Leaphorn. »Aber dafür bin ich nicht zuständig. Das FBI hat den Fall bearbeitet und ausreichend Beweise zusammengetragen, um jegliche Zweifel bei den Geschworenen auszuräumen. Das Spiel läuft etwas anders, wenn... «
»Spiel! Sie haben ... «
Der Lieutenant ließ ihre Unterbrechung nicht durchgehen. Auch er konnte aggressiv sein. »...etwas anders, wenn der Angeklagte die Tat nicht leugnet«, fuhr er fort. »Zum ersten ist die Befürchtung überflüssig, daß man den Falschen verhaftet haben könnte. Zum zweiten ist es überflüssig, die Aussagen des Angeklagten zu überprüfen. Deshalb kann die Dienststelle, die den Fall bearbeitet, selbst bei bester Absicht kaum etwas tun.«
Bourebonette musterte ihn prüfend. »Und Sie glauben, daß alles Notwendige veranlaßt worden ist?«
Er zögerte. »Nun«, sagte er, »ich würde gern mal mit Tagert reden, und dann gibt es noch ein paar weitere Ungereimtheiten.«
»Zum Beispiel? Das fehlende Tatmotiv?«
Leaphorn schloß kurz die Augen. Das Gedächtnis kennt keine zeitlichen Begrenzungen. Als er sie nach zwei Sekunden wieder öffnete, hatte er ein Dutzend blutiger Szenen vor seinem inneren Auge gesehen.
»Whiskey ist ein perfektes Tatmotiv«, sagte er.
»Was sonst noch?«
Er hätte am liebsten mit einer Gegenfrage geantwortet und diese Frau gefragt, weshalb ihr diese Schießerei im Vollrausch soviel Zeit wert war. Vermutlich lag das an ihrem Buch. Sie mußte Pinto freibekommen, um es fertigschreiben zu können. Aber möglicherweise war das noch nicht alles. Hätte Leaphorn sie danach gefragt, hätte sie lediglich wiederholt, Pinto sei unschuldig und ihr Freund.
»Nun, Officer Chee ist auf der Flucht zum Tatort einem Wagen begegnet. Dieses Auto könnte am Tatort vorbeigekommen sein.
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