Der Kojote wartet
Nicht unbedingt, obwohl es ziemlich wahrscheinlich ist. Vielleicht hat sein Fahrer etwas gesehen. Vermutlich nicht, aber ich hätte ihn aufgesucht und dazu befragt.«
»Selbstverständlich«, bestätigte sie. »Und das hat niemand getan?«
»Offenbar nicht.«
»Aber weshalb nicht?«
»Weshalb nicht? Weil die Feds schon genügend Belastungsmaterial hatten. Die rauchende Waffe. Das Tatmotiv. Kein Versuch, die Tat zu leugnen. Sie haben massenhaft andere Arbeit, die sich auf ihren Schreibtischen häuft.« Leaphorn deutete dabei auf seinen eigenen Schreibtisch, der aber mustergültig aufgeräumt und so ein schlechtes Beispiel war.
»Zu mühsam, einen Zeugen ausfindig zu machen. Zu mühsam, den Wagen aufzuspüren. Wenn ein alter Mann wegen Mordes vor Gericht gestellt werden soll.« Ihre Stimme klang bitter.
»Wir haben den Wagen gefunden«, widersprach Leaphorn. »Er gehört einem Lehrer aus Shiprock. Ich fahre heute hin und rede mit ihm.«
»Ich komme mit«, sagte sie.
»Tut mir leid, aber das...«, begann der Lieutenant. Dann verstummte er. Warum eigentlich nicht? Das konnte nicht schaden. Dies war ohnehin nicht sein Fall. Sollten die Leute vom FBI sauer sein, konnten sie nicht noch saurer werden, nur weil diese Frau ihn begleitet hatte. Und er wollte herauskriegen, worauf sie es eigentlich abgesehen hatte. Der Fall Pinto interessierte ihn mehr und mehr.
Sie benutzten die Straße, die sich über Red Lake, Crystal und Sheep Springs zum Washington Pass hinzieht. Als sie dann die Ostflanke der Chuska Mountains hinunterfuhren, hielt der Lieutenant an einem Aussichtspunkt. Er zeigte nach Osten und beschrieb mit der Rechten einen weiten Bogen nach Norden, der riesige Flächen graugrüner Grashügel umfaßte. Im Süden ragten die Zuni Mountains auf, im Osten standen die Jemez Mountains, und weit im Norden waren die schneebedeckten San Juan Mountains in Colorado zu erkennen.
» Dinetah «, sagte er dabei. Bourebonette würde wissen, was dieses Wort bedeutete: Inmitten des Volkes. Die Urheimat der Navajos. Der Ort ihrer Mythen, das Heilige Land der Di-nee. Wie würde sie reagieren?
Professor Bourebonette schwieg zunächst. »Ich habe eine Wette mit mir selbst gewonnen«, stellte sie dann fest. »Oder zumindest teilweise. Ich habe mit mir gewettet, daß Sie hier wegen der Aussicht halten würden. Und ich habe mit mir gewettet, daß Sie sich zur Benennung dieses Passes nach Washington äußern würden.«
Damit hatte Leaphorn nicht gerechnet. »Und was hätte ich sagen sollen?«
»Da war ich mir nicht ganz sicher. Vielleicht etwas Aufgebrachtes. Als Navajo wäre ich jedenfalls erbittert, wenn in meinem Land etwas nach Colonel John Macrae Washington benannt wäre. Ebenso gut könnte man einen Paß in Israel nach Adolf Hitler benennen.«
»Der Colonel war ein verdammter Schurke«, bestätigte Leaphorn. »Aber ich lasse mich vom neunzehnten Jahrhundert nicht mehr beeinflussen.«
Louisa Bourebonette lachte. »Typisch Navajo, wenn ich das sagen darf? Sie versuchen, mit der Realität zu harmonieren. Weil es der Gesundheit nicht eben förderlich ist, mit der Vergangenheit zu hadern.«
»Richtig«, bestätigte Leaphorn. »Sogar ziemlich ungesund.«
Professor Bourebonette schmeichelt dir, dachte er. Warum? Was verspricht sie sich davon?
»Ich wäre mir der Kränkung ständig bewußt«, erklärte sie. »Ich würde sie bei jeder Fahrt auf dieser Strecke wieder spüren. Ich würde mich jedesmal wieder fragen, warum die Weißen das getan haben. Warum haben sie den Mann geehrt, der unser schlimmster Feind war, und uns mit dieser Namensgebung provoziert? Eben jenen Colonel, der Narbona, diesen ehrenwerten und friedlichen Mann, ermordet hat. Der Colonel, der einen Vertrag nach dem anderen gebrochen hat, der die Verbrecher beschützt hat, die Kinder entführt und als Sklaven nach New Mexico verkauft haben, der dafür plädiert hat, euren Stamm einfach auszurotten, und der alles getan hat, um diese Politik in die Tat umzusetzen. Wie kann man einen Paß mitten in eurem Land nach diesem Schweinehund benennen? Ist das nur ein Zeichen von Ahnungslosigkeit? Oder ist das eine bewußt verächtliche Geste?«
Aus Bourebonettes Miene und ihrem Tonfall sprach deutliche Verärgerung. Auch das hatte Leaphorn nicht erwartet.
»Ich tippe auf Unwissenheit«, antwortete der Lieutenant. »Ich sehe keinen bösen Willen dahinter.« Er lachte bitter. »Einer meiner Neffen war Pfadfinder. Ausgerechnet im Kit-Carson-Stamm. Carson war auf seine Weise
Weitere Kostenlose Bücher