Der Kommandant und das Mädchen
Nachmittag. Wir standen auf dem Balkon, der vom Salon abging, und hängten frisch gewaschene Kinderkleidung zum Trocknen auf, die Krysia ihren Worten zufolge von einer Freundin erhalten hatte.
“Ich auch nicht, bis ich im Ghetto meine Arbeit im Waisenhaus aufnahm.” Ich schaute zu Krysia hinüber, die mit einem Ausdruck der Hilflosigkeit ein noch klammes Kinderhemd in den Händen hielt. Ihr war anzusehen, wie viel Sorgen sie sich machte. “Aber wieso, Krysia? Du hast dich doch um Jakub gekümmert. Er erzählte mir, er sei als Kind oft bei dir gewesen.”
Sie schüttelte den Kopf. “Als Tante einen kleinen Jungen ein paar Stunden in der Woche zu versorgen, kann man nicht
damit
vergleichen.”
Ich nahm ihr das Hemd ab und hängte es auf die Leine. “Das bekommen wir schon hin, ich verspreche es dir.”
Von Krysia erfuhr ich, dass der Junge so spät wie ich in der Nacht hier eintreffen würde. Am frühen Abend machte sie einen erschöpften Eindruck. “Warum ruhst du dich nicht eine Weile aus?”, schlug ich ihr vor, doch sie schüttelte den Kopf.
Als die Zeiger der Standuhr im Flur schon lange nach Mitternacht anzeigten, lief Krysia noch immer rastlos im Haus auf und ab, machte hier etwas sauber, sortierte da irgendwelche Kleinigkeiten. Das Licht hatte sie so weit heruntergedreht, dass die Küche nur noch von einem schwachen Schein erleuchtet wurde und unsere Schatten weit in den Korridor hineinreichten. Alle paar Minuten hob sie die schweren Vorhänge am rückwärtigen Salonfenster ein winziges Stück an und hielt nach dem Neuankömmling Ausschau.
Gegen zwei Uhr am Morgen setzten wir uns jeder mit einer Tasse Tee in die Küche. Mehrmals versuchte ich, zum Sprechen anzusetzen, aber da ich Krysia so vieles fragen wollte, wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte. “Wie bist du …?”, begann ich schließlich, geriet aber gleich wieder ins Stocken.
“… mit der Widerstandsbewegung in Kontakt gekommen, meinst du?” Sie rührte ihren Tee, dann legte sie den Löffel beiseite. “Ich wusste von Anfang an von der Sache, für die sich Jakub einsetzt. Er sprach mit mir darüber, weil sich seine Mutter nicht sonderlich dafür interessierte, während sein Vater zu sehr um seine Sicherheit besorgt war. Natürlich machte ich mir auch Sorgen um sein Wohl”, fügte sie hinzu und trank einen Schluck. “Aber ich wusste, er würde sich nicht davon abbringen lassen.” Mir erging es nicht anders, ergänzte ich im Stillen. “Irgendwann im Frühjahr kam er eines Nachts zu mir”, fuhr sie fort. Offenbar sprach sie von dem Abend vor seinem Untertauchen, als er viele Stunden lang nicht nach Hause zurückgekehrt war. “Er sagte mir nicht im Detail, worum es ging, aber er bat mich, ein Auge auf dich zu haben, falls ihm etwas zustoßen sollte. Ich fragte, ob ich sonst noch etwas für ihn tun könnte, und da wurde uns beiden klar, dass meine gesellschaftliche Stellung vielleicht von Nutzen wäre. Näheres erfuhr ich erst, als er bereits gegangen war.”
“Aber das ist doch schrecklich gefährlich! Hast du denn gar keine Angst?”
“Natürlich habe ich Angst, meine Liebe.” Sie verzog die Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. “Sogar eine alte, kinderlose Witwe wie ich hängt am Leben. Doch dieser Krieg …” Sie wurde wieder ernst. “Dieser Krieg ist eine Schande für mein Volk. Dich und den Jungen bei mir unterzubringen ist das Mindeste, was ich tun kann.”
“Die Polen haben den Krieg nicht angefangen”, wandte ich ein.
“Nein, aber …” Sie wurde von einem leisen Kratzen an der Hintertür unterbrochen. “Warte hier.”
Auf Zehenspitzen schlich Krysia die Treppe nach unten. Ich hörte Geflüster, Bewegungen, dann ein leises Klicken, als die Tür geschlossen wurde. Krysia kam die Stufen wieder hinauf, diesmal waren ihre Schritte schwerer und langsamer. Als sie den Kopf der Treppe erreicht hatte, sah ich, dass sie ein großes Stoffbündel in den Armen hielt. Ich stand auf, um ihr zu helfen, dann trugen wir den schlafenden Jungen gemeinsam in den zweiten Stock.
Wir legten ihn ins Kinderbett, Krysia wickelte ihn aus der Decke. Als ich das Gesicht des Jungen sah, stockte mir der Atem. Es war der kleine blonde Junge, dessen Mutter man auf offener Straße erschossen hatte.
“Was ist?”, fragte sie.
Bevor ich antworten konnte, begann das Kind zu wimmern, da meine erschrockene Reaktion und Krysias Stimme ihn aufgeweckt hatten. “Schhhht”, besänftigte sie den Kleinen und streichelte ihm über den Rücken,
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