Der Kommandant und das Mädchen
Kommandanten zurückkehre. “Haben Sie alles erledigt?”
“Ja, danke.” Ich gehe an ihr vorbei und bemühe mich, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Zurück in meinem Büro verstecke ich die Passierscheine in einer Zeitung, die in meiner Tasche liegt. Manchmal werden die Mitarbeiter der Wawelburg beim Verlassen des Gebäudes durchsucht. Mir ist das noch nicht widerfahren, was vermutlich mit meiner Position zu tun hat. Dennoch will ich kein unnötiges Risiko eingehen. Für den Rest des Tages ist es mir einfach nicht möglich, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Die Zeiger der Uhr über meinem Schreibtisch scheinen stillzustehen. Als es dann endlich fünf Uhr ist, bin ich froh, gehen zu können. Auch nachdem ich die Wachen passiert habe, versuche ich mich ganz normal zu verhalten.
Meine Absicht war es, die Passierscheine so schnell wie möglich weiterzugeben, doch am nächsten Tag beginnt es zu regnen. Bis dahin war der Sommer so trocken gewesen, dass man fast von einer Dürre sprechen konnte. Das Gras auf der Blonia, dem weitläufigen Feld gleich vor der Stadt, ist so ausgetrocknet und zum Teil sogar verbrannt, dass die Bauern ihre Pferde dort nicht länger grasen lassen können. Der Pegelstand der Wisła ist so tief gesunken, dass Schiffe nicht mehr fahren dürfen, da sie auf Grund laufen könnten. Die Deutschen haben das Wasser rationiert, doch die Einwohner von Kraków, die wohl mehr Angst vor Hunger als vor Inhaftierung haben, bewässern ihre Gärten heimlich in der Nacht, damit das so dringend benötigte Gemüse nicht verdorrt.
An dem Tag, an dem ich die Scheine übergeben will, scheint es, dass der Himmel den Anblick des vom Krieg verwüsteten Polen nicht länger erträgt und seinen Tränen freien Lauf lässt. Der Regen prasselt nur so auf das Land herab. Es regnet auch am nächsten und am übernächsten Tag, bis sich in den Straßen der Morast zu türmen beginnt und die Kanalisation die Wassermengen nicht mehr fassen kann. Dreckiges Abwasser wird auf die Straßen gespült, meine Fahrt zur Arbeit und zurück entwickelt sich zu einer wahren Mühsal. Kein Schirm und kein Regenmantel können die Nässe fernhalten, und so komme ich sowohl im Büro als auch zu Hause jedes Mal bis auf die Haut durchnässt an. An meinen Schuhen klebt zentimeterdick Schlamm. Solche Verhältnisse machen natürlich ein Treffen mit Alek in einem Straßencafé unmöglich. Ich wage es nicht, die Passierscheine jeden Tag mitzunehmen, daher verstecke ich sie unter meiner Matratze. Jede Nacht liege ich wach und bin mir dieser Papiere nur allzu gut bewusst.
Als ich an einem Tag meine durchnässten Strümpfe in der Toilette nahe meinem Büro auswringe und das schlechte Wetter bestimmt schon zum hundertsten Mal verfluche, überkommt mich auf einmal ein erdrückendes Schamgefühl. Ich verbringe jeden Tag in einem bequemen Büro, nachts liege ich in einem warmen Bett. Und wo ist Jakub? Ich stelle mir vor, wie er in diesem Sturm irgendwo im Wald schläft, ohne ein Dach über dem Kopf.
Nach fast zwei Wochen lässt der Regen schließlich nach, und die Sonne kommt wieder durch. “Das Wetter ist umgeschlagen”, sagt Krysia am Dienstagmorgen, ohne von der Schüssel aufzublicken, in der sie Kartoffeln stampft. “Heute Nachmittag wird gutes Wetter für das Café.”
Ich schlucke den Bissen Brot herunter, auf dem ich herumgekaut habe. “Ja”, gebe ich nur zurück. Seit meiner letzten Begegnung mit Alek habe ich mit Krysia nicht mehr über meine Mission gesprochen.
Sie stellt die Schüssel zur Seite und verlässt wortlos die Küche, trägt aber noch ihre Schürze. Minuten später kehrt sie zurück. “Kannst du nach der Arbeit etwas für mich erledigen?”, fragt sie mich.
“Natürlich”, antworte ich sofort, ohne nachzufragen, um was es denn geht. Krysia bittet mich so selten um einen Gefallen, da ist es eine Selbstverständlichkeit, etwas für sie zu erledigen.
“Gut. Hier.” Sie greift in die Tasche ihrer Schürze und holt ein kleines, in Stoff gewickeltes Päckchen heraus. Ich nehme es entgegen und wundere mich, wie schwer es in meiner Hand liegt. Meine Finger ertasten Münzen, und dem Gewicht nach zu urteilen, dürften sie aus echtem Silber sein. “Gib das Alek”, sagt sie. “Sag ihm, er soll davon etwas Nützliches kaufen.” Verblüfft nicke ich. Ich wusste, dass Krysia mit der Widerstandsbewegung zu tun hat, mir war allerdings nicht klar, dass sie auch an deren Finanzierung beteiligt ist. Eigentlich sollte mich
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