Der Kommandant und das Mädchen
stattdessen schweigt sie minutenlang, legt die Stirn in Falten und schürzt die Lippen. Schließlich bin ich diejenige, die als Erste etwas sagt. “Es wird schon gut gehen, Krysia.”
“Es wird so ausgehen, wie es ausgeht, meine Liebe. Wir leben in unsicheren Zeiten, und es ist nicht nötig, einer alten Frau etwas vorzuspielen.” Plötzlich entspannt sich ihre Miene. Sie umfasst meine Hand, und dann sehe ich, wie ihre Augen aufleuchten. “Der Mut junger Menschen ist die eine Sache, die mir immer noch Hoffnung gibt.” Mit diesen Worten ist die Last, die auf meinen Schultern liegt, noch tausendmal schwerer geworden.
9. KAPITEL
A m nächsten Morgen wache ich früher auf als sonst und stelle fest, dass Krysia auf dem Sofa eingeschlafen ist, auf dem sie saß, als ich zu Bett ging. Ganz vorsichtig, um sie nicht zu wecken, nehme ich ihr die Stricknadeln aus der Hand und lege eine Decke über sie. Erst dann schleiche ich in die Küche, setze einen Tee auf und stelle zusammen, was ich für den Tag brauche. Dabei muss ich gegen den dringenden Wunsch ankämpfen, mich bereits in aller Frühe auf den Weg zur Arbeit zu machen. Ich darf wegen meiner Mission nicht übereifrig auftreten, ich darf nichts machen, das die Aufmerksamkeit auf mich lenkt.
Genau um acht Uhr treffe ich in der Burg ein. Der heutige Arbeitsablauf ist der gleiche wie an jedem Morgen. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und ordne die Papiere, die über Nacht zugestellt wurden. Um genau viertel nach acht kommt der Kommandant ins Büro. Wenige Minuten darauf ruft er mich zu sich, gemeinsam gehen wir seinen Terminplan für den Tag durch und besprechen weitere Termine, die in Kürze anstehen. Ich lege ihm die Korrespondenz vor, um die er sich persönlich kümmern muss – Briefe von hochrangigen offiziellen Stellen oder Angelegenheiten, die mir nicht vertraut sind –, dann diktiert er mir die Antwortschreiben. Im Gegenzug überträgt er mir Aufgaben, die ich erledigen muss, teilt mir Termine mit, die ich im Kalender erfassen soll, und lässt mich wissen, welche Berichte er erwartet. Abhängig vom Umfang kann diese Besprechung zwischen fünfzehn Minuten und nahezu einer Stunde dauern. Inzwischen weiß ich, dass diese Routine für ihn höchste Priorität hat. Malgorzata darf in dieser Zeit weder Anrufe durchstellen noch Besucher zu ihm schicken, und eine Verlegung unserer Besprechung kommt für ihn nur infrage, wenn die Umstände es zwingend erfordern.
Heute fällt unsere Besprechung recht kurz aus. “Ich muss um neun Uhr drüben am Außenring sein”, sagt er knapp, als ich eintrete. Ich nicke bestätigend und nehme meinen gewohnten Platz auf dem Sofa nahe der Tür ein, wobei ich meinen Stift schreibbereit in der Hand halte. Der Kommandant räuspert sich und steht auf. “Schreiben Sie bitte folgende Eingabe an den Gouverneur …” Ich notiere die wenigen Sätze, die er mir diktiert. Während er redet, geht er im Zimmer auf und ab und fährt sich dabei immer wieder auf eine Weise durch sein kurz geschnittenes Haar, die auf mich wirkt, als hätte er es bis vor einer Weile noch länger getragen.
Mitten im Satz verstummt er abrupt und dreht sich um. Er sieht aus dem Fenster und wirkt abgelenkt, ja sogar verärgert. Sekundenlang frage ich mich, ob ich etwas verkehrt gemacht habe. Dabei muss ich an die Passierscheine denken. Es ist völlig unmöglich, dass er von meiner Absicht weiß, und trotzdem … Schließlich ertrage ich es nicht länger. “Herr Kommandant, stimmt etwas nicht?”
Er dreht sich zu mir um und sieht mich so verwirrt an, als hätte er mich völlig vergessen. Er zögert kurz. “Entschuldigen Sie, aber ich musste an ein Telegramm denken, das ich heute Morgen aus Berlin erhalten habe.”
Zumindest ist er nicht meinetwegen so aufgewühlt, was ich mit Erleichterung zur Kenntnis nehme. Aber das Telegramm aus Berlin … es könnte für den Widerstand wichtige Informationen enthalten. “Schlechte Neuigkeiten?”, frage ich, ohne zu interessiert zu klingen.
“Das weiß ich noch nicht. Man will, dass ich …” Wieder verstummt er mitten im Satz. Vermutlich ist ihm noch rechtzeitig bewusst geworden, dass er über diese Angelegenheit nicht mit mir sprechen darf. “Es ist nichts, worüber Sie sich Gedanken machen müssten.” Er kehrt zurück an seinen Schreibtisch und setzt sich. “Befassen wir uns wieder mit der Eingabe.”
Wenig später ist das Diktat fertig, und ich sehe auf. “Wäre das alles?”
“Ja.” Er hält einen Stoß
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