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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Abend dreht sich mir der Magen um, sobald ich an den Besuch denke. “Ich wünschte, ich könnte mich morgen krankmelden”, vertraue ich Krysia nach dem Abendessen an, während ich den Tisch abräume. “So nervös war ich seit meinem ersten Arbeitstag nicht mehr.”
    “Du schaffst das schon”, versichert sie mir. Sie sitzt noch am Tisch und versucht, Łukasz zu füttern. “Du hast jeden Tag mit diesen Leuten zu tun.”
    Ich schüttele den Kopf. “Die hier sind anders.” Das sind SS-Leute aus Berlin, die mich bestimmt durchschauen werden.
    Doch sie reicht mir unbeeindruckt einen Teller an und fährt fort: “Wenn sie so von sich eingenommen sind wie alle Männer, werden sie dich vermutlich nicht einmal bemerken.” Als ich sie ansehe, stelle ich fest, dass sie mich angrinst.
    “Krysia!”, rufe ich überrascht aus. Unwillkürlich muss ich kichern. Ihre Feststellung ist amüsant und zutreffend zugleich. Vom Kommandanten abgesehen scheinen junge Frauen wie ich für mächtige Männer unsichtbar zu sein, egal ob sie Nazis oder Professoren sind. Plötzlich müssen wir beide von Herzen lachen. Ursache dafür ist nicht nur ihr Kommentar, sondern auch die Tatsache, dass die gesamte Situation so völlig lächerlich ist. Dazu kommt die über Monate hinweg angestaute Angst vor Entdeckung, die sich jetzt in einem lauten Gelächter entlädt. Łukasz sieht uns verwundert an, weil er uns noch nie so erlebt hat, und es dauert nicht lange, da stimmt er in das Lachen ein und schlägt begeistert mit seinem Löffel auf die Tischplatte. Das Essen fliegt umher, doch dieser Anblick lässt uns nur noch lauter lachen. Später liege ich im Bett und stelle fest, dass mein Hals vom Gelächter ganz rau geworden ist. Er ist es nicht mehr gewöhnt, solche Laute zu produzieren.
    Am nächsten Tag mache ich mich eine halbe Stunde früher auf den Weg zur Arbeit. Der Kommandant, Oberst Diedrichsen und Malgorzata sind bereits im Büro, als ich dort eintreffe. Sie sind so in ihre Vorbereitungen vertieft, als würden sie die Delegation nicht erst am Nachmittag, sondern jeden Augenblick erwarten. An diesem Tag lassen wir die Mittagspause ausfallen. Selbst der sonst so ruhige und gefasste Kommandant begibt sich immer wieder von seinem Büro in den Empfangsbereich und zurück. Zum ersten Mal scheint er mich nicht wahrzunehmen. Genau um viertel vor zwei klingelt Malgorzatas Telefon. Förmlich beugt sie sich über ihren Schreibtisch, um den Hörer aufzunehmen. “Herr Kommandant, sie sind hier!”, ruft sie dann.
    “So früh …”, höre ich ihn murmeln, als sei das ein böses Omen. “An Ihre Schreibtische, meine Damen.” Er zieht seine Jacke gerade. “Herr Oberst, Sie kommen mit mir.” Als die Männer das Büro verlassen, sehe ich zu Malgorzata hinüber. Sie sitzt absolut gerade auf ihrem Stuhl und streicht sich das Haar glatt. Ihr Gesicht ist vor Begeisterung gerötet. Nie habe ich sie mehr verabscheut als in diesem Moment.
    Ich kehre in mein Vorzimmer zurück und schließe die Tür, dann setze ich mich an meinen Schreibtisch und nehme eine Haltung ein, die ich für angemessen professionell halte, indem ich zu Block und Stift greife. Einige Minuten darauf sind aus dem Korridor schwere Schritte und tiefe Stimmen zu hören, dann wird die Tür zum Empfangsbereich geöffnet. Die Stimmen werden lauter. Ich ermahne mich, ruhig durchzuatmen und mich ganz natürlich zu verhalten. Schließlich geht die Tür zum Vorzimmer auf, der Kommandant kommt herein, ihm folgen sieben Männer. Obwohl ich den Kopf gesenkt halte und mich auf meine Arbeit konzentriere, erkenne ich, dass die drei hochdekorierten Männer in den schwarzen Uniformen gleich hinter dem Kommandanten die SS-Leute sind. Bei den drei jüngeren Männern, die ihnen folgen, handelt es sich offensichtlich um ihre Adjutanten.
    Keiner der Männer ist so hochgewachsen oder so beeindruckend wie der Kommandant. Krysia hatte recht. Die Delegation geht an meinem Schreibtisch vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Wenn sich weiterhin niemand für mich interessiert, kann ich diesen Tag wohl doch noch überstehen.
    Den Schluss der Gruppe bildet Oberst Diedrichsen. Als er an der Tür zum Büro des Kommandanten angelangt ist, dreht er sich zu mir um. “Anna, bringen Sie uns acht Tassen Kaffee. Schnell!”
    Innerlich zucke ich zusammen. Ich hatte nicht damit gerechnet, Getränke servieren zu müssen. Ich überlege, ob ich diese Aufgabe Malgorzata übertragen soll, doch ich weiß, es wäre dem Kommandanten

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