Der Kommandant und das Mädchen
Erleichterung erfasst mich.
“Herr Kommandant?” Oberst Diedrichsen klingt erschrocken. Zum ersten Mal höre ich eine Gefühlsregung in seiner Stimme. “Eine Delegation?” Auch ich bin überrascht. Zwar erinnere ich mich, dass Ludwig auf der Abendgesellschaft bei Krysia von einer Delegation sprach, doch seit ich hier arbeite, ist davon nicht wieder die Rede gewesen.
“Ja, es wurde erst gestern entschieden. Drei sehr hochrangige Offiziere der SS werden am Donnerstag hier eintreffen.” Der Kommandant nimmt einige Papiere von seinem Schreibtisch und verteilt sie an uns. “Das ist in drei Tagen, und bis dahin ist noch viel zu tun. Natürlich wird der Gouverneur mit der Delegation zusammentreffen, aber alle Arrangements müssen von diesem Büro aus getroffen werden. Oberst Diedrichsen wird sich um den offiziellen Terminablauf kümmern. Anna, Sie werden ihm assistieren und dafür sorgen, dass hier im Büro alles reibungslos läuft.” Auch wenn ich mir nicht sicher bin, was genau er eigentlich von mir erwartet, nicke ich. “Malgorzata, Sie kümmern sich darum, dass das Büro in tadellosem Zustand ist.”
“Ja, Herr Kommandant!”, gibt sie zurück und hebt stolz das Kinn, als müsse sie irgendwelche Staatsgeheimnisse hüten.
“Gut, das wäre für den Moment alles.” Oberst Diedrichsen steht auf und geht zur Tür, Malgorzata und ich folgen ihm. “Anna, Sie bleiben bitte noch hier.” Der Kommandant winkt mich zu seinem Schreibtisch, sagt jedoch kein Wort, bis die anderen den Raum verlassen haben.
“Ja, Herr Kommandant?” Da ich ihm nun näher bin, bemerke ich sein fahles Gesicht und die müden Augen.
“Ich muss Ihnen nicht erklären, wie wichtig dieser Besuch für mich und für uns alle ist.” Ich nicke verstehend, frage mich allerdings, warum er mir das erzählt. “Alles muss absolut reibungslos verlaufen. Ich zähle auf Sie.”
“Auf mich?” Meine Überraschung kann ich nicht verbergen.
“Ja. Sie sind sehr tüchtig, und Sie haben einen Blick für Details. Achten Sie darauf, dass Oberst Diedrichsen und die anderen nichts vergessen. Wenn Sie das Gefühl haben, etwas wurde übersehen oder falsch erledigt, lassen Sie es mich sofort wissen. Verstehen Sie?”
“Ja, Herr Kommandant.”
“Gut.” Er lässt den Kopf sinken und legt die Finger an die Schläfen.
“Fühlen Sie sich nicht wohl?”
“Es sind nur Kopfschmerzen”, erwidert er, ohne mich anzusehen. “Damit hatte ich schon immer zu tun, aber in letzter Zeit sind sie schlimmer geworden.”
“Soll ich Ihnen ein Mittel bringen?”, schlage ich vor, doch er verneint.
“Für diese Kopfschmerzen benötige ich etwas Stärkeres. Mein Arzt hat mir ein Medikament verschrieben.”
“Gut. Brauchen Sie irgendetwas anderes?”
“Nicht im Augenblick”, antwortet er und hebt den Kopf ein wenig, um mich anzuschauen. “Danke, Anna. Ich fühle mich bereits besser, wenn ich weiß, dass Sie hier sind.”
Ich entgegne darauf nichts und verlasse schnell sein Büro.
Die nächsten Tage sind ein einziger Wirbel aus hektischen Aktivitäten. Die Nachricht von dem bevorstehenden Besuch spricht sich in Windeseile herum. Die Putzfrauen in der Wawelburg arbeiten rund um die Uhr, damit die Marmortreppen glänzen und die unzähligen Fenster sauber blitzen. Die Hakenkreuzfahnen in den Gängen werden abgenommen, gebügelt und wieder aufgehängt. Malgorzata scheint dem Reinigungspersonal nicht zu vertrauen und kümmert sich lieber selbst darum, unsere Büros auf Hochglanz zu bringen. Eineinhalb Tage lang sehe ich ihr zu, wie sie auf Knien den Fußboden schrubbt.
Meine eigene Rolle bei alledem ist recht eingeschränkt. Am Tag nach unserer Besprechung helfe ich Oberst Diedrichsen, indem ich die letzte Fassung des Terminplans auf der Maschine abtippe, wobei er mich darauf hinweist, dass das Ganze streng vertraulich zu behandeln ist. Die aus den drei SS-Offizieren und ihren Adjutanten bestehende Delegation wird für eine Nacht hierbleiben und die Arbeitslager Plaszow und Auschwitz sowie das Ghetto besuchen. Als ich den letzten Teil lese, schaudert mir. Ich weiß, das Ghetto ist groß und die Chancen sind äußerst gering, dass diese Delegation meine Eltern sehen wird, dennoch … ich verdränge den Gedanken mit aller Macht und konzentriere mich auf meine Arbeit. Am Freitag lädt der Kommandant mich ein, einer Besprechung mit ihm und dem Oberst beizuwohnen. Als jedes noch so kleine Detail durchgesprochen ist, erklärt der Kommandant, dass wir fertig sind.
Am
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