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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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wieder sagen:
Auf jeden Fall ist es gut, dass Sie wieder da sind.
    Warum habe ich das gesagt? Weil Anna es sagen würde. Aber ich habe den Satz nicht für Anna gesprochen, sondern nur geäußert, was mir spontan durch den Kopf ging. Die nächsten eineinhalb Stunden verbringe ich damit, mich wieder in den Griff zu bekommen, doch so oft ich auch versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, sehe ich immer nur die Augen des Kommandanten vor mir.
    Als die Glocken der Wawelkathedrale fünf Uhr läuten und ich merke, wie Malgorzata ihr Büro verlässt, greife ich nach einem weiteren Stapel Post für den Kommandanten. Ich gehe auf seine Tür zu, während ich durch die offenen Fenster die anderen Sekretärinnen auf ihren hohen Absätzen das Gelände verlassen höre.
    Die Tür zu seinem Büro steht einen Spalt offen. Ich klopfe leise an und öffne sie etwas mehr. Das Grammofon läuft, klassische Musik erfüllt den großen Raum. Ich hatte erwartet, dass der Kommandant die Dokumente durchsieht, die ich ihm hingelegt habe, aber er sitzt auf seinem Bürostuhl vom Schreibtisch abgewandt und sieht in Richtung Podgorze aus dem Fenster. Ich habe mich schon gefragt, was er empfindet, wenn er nach draußen sieht. Hört er die verzweifelten Schreie der Juden im gleich gegenüberliegenden Ghetto? Oder ist er in Gedanken woanders, vielleicht bei seiner Frau?
    Nachdem ich eine Weile gewartet habe, ohne von ihm bemerkt zu werden, räuspere ich mich schließlich. Er dreht sich um und sieht mich an, als wüsste er nicht, wer ich bin und was ich hier will. “Sie wollten mit mir ihren Terminplan durchgehen”, erkläre ich.
    Sein ratloser Gesichtsausdruck verschwindet. “O ja, natürlich. Kommen Sie rein.” Ich nehme auf dem Sofa Platz, er kommt zu mir und setzt sich in den Sessel neben mir. Zunächst fasse ich zusammen, welches die wichtigsten Schreiben sind, die in seiner Abwesenheit eingetroffen sind. Dazu gehören Einladungen, Zeitungsausschnitte und andere Berichte. “In den Notizen vom Treffen letzten Dienstag am Außenring steht …” Auf einmal unterbreche ich meine Ausführungen und sehe hoch. Der Kommandant betrachtet mich eindringlich. “Stimmt etwas nicht, Herr Kommandant?”
    “Nein, nein”, wehrt er mit einem Kopfschütteln ab. “Fahren Sie bitte fort.”
    Ich sehe auf das Blatt vor mir, habe aber den Faden verloren. Besorgt bemerke ich, wie mir heiß wird. Ich räuspere mich. “Es gibt eine Anfrage, ob Sie nächsten Freitagabend am Direktorenbankett teilnehmen möchten”, sage ich und mache damit einen Sprung ans Ende meiner Liste. “Allerdings gibt es da eine Überschneidung mit einer bereits akzeptierten Einladung zum Abendessen bei Bürgermeister Baran und seiner Frau.” Wieder sehe ich auf, weil ich erwarte, dass er mich wissen lässt, welchen Termin er nun wahrnehmen wird, doch nach wie vor starrt er mich an, als hätte er kein Wort mitbekommen. “Herr Kommandant …”
    Er blinzelt verdutzt. “Was ist?”
    “Die Überschneidung zwischen dem Bankett und der Einladung bei Bürgermeister Baran. Ich muss wissen, welchen Termin Sie wahrnehmen möchten.”
    “Oh.” Seiner Reaktion nach zu urteilen scheint dies eine schwierige Entscheidung zu sein. “Was meinen Sie, was ich machen sollte?”
    Verdutzt nehme ich zur Kenntnis, dass er mich nach meiner Meinung fragt. “Nun”, entgegne ich bedächtig. “Ich halte das Bankett für wichtiger, auch wenn die Einladung des Bürgermeisters zuerst gekommen ist. Ich würde ihm ein Entschuldigungsschreiben schicken und vielleicht einen Blumenstrauß für die Frau Gemahlin.”
    “Hervorragende Idee”, erwidert er, als hätte ich etwas unglaublich Intelligentes von mir gegeben. “Das werde ich machen.”
    “Ich werde alles Notwendige veranlassen”, sage ich und stelle fest, dass ich unverändert das Objekt seiner gesamten Aufmerksamkeit bin. Mit einem Mal kommt es mir vor, als wäre es im Zimmer unerträglich schwül. “Gibt es sonst noch etwas?” Ich brenne darauf, endlich gehen zu dürfen.
    Er schüttelt den Kopf. “Nein, das ist alles für heute. Vielen Dank, Anna.” Der Kommandant wendet sich wieder dem Fenster zu. Ich sammele alle Papiere ein, die ich auf dem Tisch ausgebreitet habe, und stehe auf. In diesem Moment ertönt aus dem Grammofon eine neue Melodie. Es ist ein langsames, trauriges Stück, in dem ich eines der Lieblingsstücke meines Vaters wiedererkenne. Er spielte es immer dann, wenn er ein wenig melancholisch war. Ein- oder zweimal hörte ich

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