Der Kommandant und das Mädchen
angezogen habe, war anlässlich der Abendgesellschaft nur wenige Wochen nach meiner Flucht aus dem Ghetto. Damals war ich noch blass und mager gewesen, doch durch Krysias gutes Essen, das ich jetzt schon über Monate hinweg genießen darf, haben mein Busen und meine Hüften wieder zu ihrer ursprünglichen vollen Form zurückgefunden. Würde ich mir all die Mühe doch bloß für einen erfreulicheren Anlass machen. Mit Schrecken denke ich an den bevorstehenden Abend, den ich für ein paar Augenblicke tatsächlich verdrängt habe.
Im selben Moment, in dem die Uhr in der Diele siebenmal schlägt, klingelt es an der Tür. Krysia nimmt Łukasz auf den Arm und geht zur Treppe. “Du wartest hier”, weist sie mich an, und ich betrachte mich noch eine Weile im Spiegel. Etwas Kurzärmeliges habe ich bis heute nur ein paar Mal getragen, daher bin ich nicht daran gewöhnt, meine blassen Arme und knochigen Ellbogen unbedeckt zu sehen. Ich werfe einen prüfenden Blick auf meine Hände. Erst vor einer Stunde hat Krysia mir gezeigt, wie man Fingernägel richtig feilt. Jetzt sind sie gleichmäßig rund und glatt und lassen meine Hände wirken, als würden sie einer anderen Frau gehören.
Ich höre, wie Krysia die Treppe hinuntergeht und die Haustür öffnet. Was sie und der Kommandant reden, kann ich nicht verstehen, ich nehme nur den Klang ihrer Stimmen wahr – sein Tonfall ist tief und höflich, sie klingt sanft und einladend. Ich nehme die kleine, kunstvoll geschliffene Glasflasche mit dem Rosenwasserparfüm, das Krysia mir geliehen hat, und drücke einmal auf den Zerstäuber. Ein kühler Nebel streicht über meinen Hals, dann steigt mir der zarte Blütenduft in die Nase. Ich stelle das Parfüm zurück, wappne mich mit einem abschließenden Blick in den Spiegel für das Unausweichliche, und gehe die Treppe hinunter.
“Guten Abend, Herr Kommandant.” Er dreht sich zu mir um, und ich sehe, wie seine Augen zu leuchten beginnen, als er mein verändertes Äußeres bemerkt. Ich erwarte, dass er mir in sanftem Tonfall erklärt, wie reizend ich aussehe, doch er schweigt. Erst als ich seinen hilflosen Gesichtsausdruck erkenne, wird mir klar, dass ich ihn sprachlos gemacht habe.
“Nun, Sie sollten sich auf den Weg machen”, beendet Krysia die betretene Stille. “Hier, nimm das noch mit.” Sie gibt mir einen dünnen grauen Mantel, den ich bei ihr noch nicht gesehen habe. “Es könnte nachher kühl werden.”
“Danke.” Ich küsse sie leicht auf die Wange, dann folge ich dem Kommandanten zur Haustür. Draußen wartet bereits Stanislaw und hält uns die Wagentür auf. Er nickt mir höflich zu, als wir uns nähern, und bietet mir seine Hand an, um mir beim Einsteigen zu helfen. Das alles geschieht mit einer Selbstverständlichkeit, als würde der Kommandant jeden Freitagabend mit einer seiner Untergebenen ins Konzert gehen.
Der Kommandant steigt auf der anderen Seite ein und setzt sich zu mir auf die Rückbank. Wir sitzen verkrampft da und sehen nach vorn, während Stanislaw zurück zur Hauptstraße fährt. “Dann ist Ihre Reise nach Berlin gut verlaufen?”, frage ich schließlich und bemühe mich um einen beiläufigen Tonfall.
“Ja, es ist sehr gut gelaufen.” Nach einer kurzen Pause dreht er den Kopf zu mir. “Anna, ich möchte offen zu Ihnen sein. Es waren nicht nur dienstliche Gründe, die mich nach Berlin führten.”
“Nicht?” Ich gebe mir Mühe, nicht zu neugierig oder zu überrascht zu klingen.
“Nein, es hatte auch mit meiner Frau Margot zu tun. Sie haben die Fotos gesehen”, erklärt er. Ich hebe den Kopf und sehe ihm in die Augen. “Sie müssen wissen, letzten Monat war ihr zweiter Todestag.” Ich merke, wie seine Stimme beinahe versagt.
Ich zögere mit einer Antwort, da ich nicht weiß, warum er mir das erzählt. Verzweifelt wünschte ich, er würde noch etwas sagen. “Das tut mir leid.”
Sein Blick wandert nach unten, dann zupft er einen Fussel von seiner Uniform. “Ich musste ihre Angelegenheiten regeln.”
“Das muss sehr schwierig gewesen sein”, sage ich verständnisvoll.
“Das war es tatsächlich”, räumt er ein. “Ich habe es eine Weile vor mir hergeschoben. Ich wollte nicht akzeptieren …” Er hält inne und sieht aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. Plötzlich fährt der Wagen durch ein Schlagloch und schüttelt uns so heftig durch, dass ich gegen den Kommandanten falle und er mich festhalten muss. Sein Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, ich
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