Der Kommandant und das Mädchen
Ohren zu kraulen. Mit einer solchen Begeisterung habe ich den Kommandanten bislang noch nie reden hören. “Sein Name war Max. Ein prachtvolles Tier.”
In dem Moment ertönt in der Ferne eine Glocke. “Herr Kommandant”, bemerke ich leise. “Es ist viertel vor acht. Wir sollten uns auf den Weg machen.”
“Ja, natürlich”, stimmt er mir zu, streichelt den Hund noch einmal, steht dann auf und klopft den Schmutz von seiner Hose. Wir wünschen dem sprachlosen Paar einen schönen Abend und gehen zur Philharmonie. Dutzende Menschen stehen vor dem großen Konzertgebäude, rauchen eine Zigarette oder unterhalten sich. Viele Männer, die eine deutsche Uniform tragen, werden von einer jungen Polin begleitet. Die Besatzer und ihre einheimischen Liebschaften. Wie sehr ich es hasse, nun auch diesem Klischee zu entsprechen, selbst wenn es in meinem Fall nur gespielt ist. Beim Kommandanten untergehakt, lasse ich mich die Stufen hinaufführen. Mehrere Uniformierte salutieren, als wir an ihnen vorbeigehen.
Drinnen muss ich mich erst einmal an die Umgebung gewöhnen. Zwar bin ich schon oft an der Philharmonie vorbeigekommen, doch noch nie habe ich einen Fuß in das Gebäude gesetzt. Die verschwenderische Pracht trifft mich völlig unvorbereitet. Das Foyer besitzt gigantische Dimensionen, Fußboden und Säulen sind aus feinstem Marmor, und der kristallene Kronleuchter hat in etwa die Ausmaße eines Automobils. Diese Schönheit wird allerdings ganz erheblich dadurch verunstaltet, dass man zwei riesige Hakenkreuzfahnen aufgehängt hat.
Kaum haben wir das Foyer betreten, wird abermals die Glocke geläutet. Von Krysia weiß ich, dass das bedeutet, dass man sich zu seinem Platz begeben soll. Wir gehen zu einer Treppe an der rechten Seite des Foyers, ein Platzanweiser bringt uns zu einer Privatloge nahe der Bühne. Bevor der Anweiser sich zurückzieht, entschuldigt er sich noch, dass wegen der momentanen Papierknappheit keine gedruckten Programme verteilt werden können. Er lässt uns wissen, dass das Orchester Wagner und Mozart spielen wird. Ein anderer hochrangiger deutscher Offizier und eine mir unbekannte korpulente Frau sitzen bereits in der Loge und nicken uns zu, als wir uns zu ihnen setzen.
Das Orchester beginnt sich einzuspielen, wobei mir auffällt, dass es aus weniger Musikern besteht, als ich erwartet habe. Während der Dirigent die Bühne betritt und die Musik einsetzt, erinnere ich mich an Krysias Bemerkung, das Orchester sei durch den Verlust seiner jüdischen Musiker schwer getroffen worden. Sie sind entweder geflohen oder wurden inhaftiert. Mit Tränen in den Augen berichtete sie mir von Viktor Lisznoff, einem Cellisten, den sie schon seit Jahrzehnten kannte. Ihn hat man ins Arbeitslager Plaszow gleich vor den Toren der Stadt gebracht, wo er tagsüber schwere körperliche Arbeit leisten und am Abend vor den Leitern des Lagers aufspielen musste.
Während das Orchester spielt, merke ich, wie ich langsam in eine Art meditative Trance versinke. Ich denke an meinen Vater, der nie die Gelegenheit bekommen hat, die Philharmonie zu besuchen. Er hätte es geliebt, hier zu sein und zuzuhören, wie ein Orchester die Musik zum Leben erweckt. Nicht ich sollte heute Abend hier sein, sondern er. Einmal hatte Jakub davon gesprochen, mit Vater ein Konzert zu besuchen, aber an ihn will ich jetzt nicht denken, wenn ich mich in der Begleitung eines anderen Mannes befinde.
Mir wird bewusst, dass ich den Kommandanten aus dem Augenwinkel beobachte. Du solltest ihn eigentlich hassen, ermahne ich mich sicher zum tausendsten Mal. Er ist ein Nazi, er und seinesgleichen tragen die Schuld an dem Leid, das über uns gekommen ist. Aber ich hasse ihn nicht. Ich kann ihn nicht hassen. Doch wenn es kein Hass ist, den ich für ihn empfinde, was ist es dann? Dankbarkeit? Bewunderung? Anziehung? Keines der Wörter, die mir durch den Kopf gehen, erscheint mir passend. Schließlich sage ich mir, dass er mir gleichgültig ist. Ich erledige nur die Arbeit, die mir aufgetragen wurde. Aber diese Schlussfolgerung widerstrebt mir fast noch mehr.
In der Pause mischen wir uns unter die Menge im Foyer. Der Kommandant lässt mich für einen Moment allein und kehrt mit zwei Gläsern Champagner zurück. Während wir unter dem Kronleuchter stehen, an unseren Gläsern nippen und die schier endlose Parade an wunderschönen Abendkleidern bewundern, fällt es mir schwer zu glauben, dass wir uns mitten im Krieg befinden.
“Gefällt Ihnen das Konzert?”, fragt
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