Der Kommandant und das Mädchen
mit ihnen geschehen, wenn der Krieg vorüber ist?”
“Kennen Sie viele Juden, Anna?”, fragt der Kommandant in schneidendem Tonfall.
Ich schüttele hastig den Kopf. “Nur die, die ich vor dem Krieg in der Stadt gesehen habe, aber niemanden persönlich.”
Er räuspert sich. “Die Judenfrage wird gelöst werden, darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen.” Er sieht zur Seite und winkt den Kellner an den Tisch, damit der die Rechnung bringt.
Mein Herz rast. Warum bin ich nur so dumm? Ahnt er jetzt etwas? Während er bezahlt, mustere ich sein Gesicht. Ihm ist nicht anzusehen, dass ich sein Misstrauen geweckt habe. Augenblicke später kommt der Oberkellner mit meinem Mantel und hilft mir hinein. Wir gehen nach unten und kehren zurück zum Wagen. Nachdem wir eingestiegen sind, wendet sich der Kommandant an mich. “Ich nehme an, Sie müssen zurück zu Łukasz.”
Ich antworte nicht sofort, und mir wird klar, dass er mich indirekt einlädt, mit zu ihm zu kommen. Ich muss es nicht machen, denn dafür hat er mir bereits die passende Ausrede mitgeliefert. Doch wenn ich jetzt einen Rückzieher mache, würde alles hinfällig sein, was ich bislang vorbereitet habe. “Nein, das ist nicht nötig”, antworte ich und schüttele den Kopf. “Krysia ist bei Łukasz, ich habe es nicht eilig.” Der Kommandant lächelt flüchtig und beugt sich vor, um Stanislaw etwas zu sagen.
Bis wir in seiner Wohnung angekommen sind, sprechen wir kein Wort. “Möchten Sie etwas trinken?”, fragt er schließlich, als er mir den Mantel abnimmt und über einen Stuhl legt.
“Nein, danke.” Wir stehen ein wenig verlegen mitten im Wohnzimmer und sehen uns an. Es geschieht nichts Unerwartetes, das uns zusammenbringen könnte, sodass ich schließlich tief durchatme und einen Schritt auf ihn zu mache.
“Anna”, sagt er und breitet die Arme aus. Ich gehe noch einen Schritt weiter, bis er nach mir fasst. Wortlos gehen wir nach nebenan ins Schlafzimmer. Seine Umarmung ist zunächst noch zaghaft, doch dann berühren sich unsere Lippen, und es fühlt sich an, als wären wir schon tausendmal zusammen gewesen. Der Akt – wir
lieben
uns nicht, denn mit Liebe hat das für mich nichts zu tun – ist jetzt nicht mehr so fordernd wie beim ersten Mal, sondern von gemächlicher Leidenschaft geprägt. Irgendwann beginne ich, das Geschehen wie von außen wahrzunehmen. Plötzlich kommt es mir vor, als würde ich über uns an der Decke schweben und unsere Körper betrachten. Ich werde vom Kommandanten auf das Bett gedrückt, mein Gesicht ist verzerrt.
Kehr zurück in deinen Körper
, fordere ich mein Ich auf. Ich hasse mich für das, was ich zu sehen bekomme.
Dann ist es vorüber. Wenige Minuten später ist er eingeschlafen. Als ich ihn betrachte, wie er daliegt und gleichmäßig atmet, muss ich an Jakub denken. Wenn wir uns liebten, dann lagen wir anschließend noch stundenlang wach, schmiegten uns aneinander und unterhielten uns. Ich ermahne mich, froh zu sein, dass der Kommandant nicht so ist, sondern nach dem Akt einschläft. Es wird Zeit, die Gelegenheit zu nutzen, für die ich hergekommen bin.
Langsam und bedächtig steige ich aus dem Bett und schleiche auf Zehenspitzen durch die düstere Wohnung. Ich taste mich an der Wand entlang und finde den Eingang zu seinem Arbeitszimmer. Ich drücke die Türklinke hinunter und ziehe die Tür langsam auf, damit sie nicht knarrt. In dem dunklen Zimmer kann ich absolut nichts erkennen, aber ich wage auch nicht, Licht zu machen. Das ist doch sinnlos! Hier komme ich nur weiter, wenn ich bis zum Morgen bleibe und das erste Licht des Tages nutze. Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen, bei ihm zu übernachten. Jedenfalls nicht heute Nacht. Ich muss zu Hause sein, wenn Łukasz am Morgen aufwacht. Ich schleiche zurück ins Schlafzimmer, ziehe mich leise an und verlasse die Wohnung. Unten vor dem Haus wartet Stanislaw noch immer mit dem Wagen. Ich ertrage es nicht, ihn anzusehen, als ich mich auf die Rückbank setze. Ob er sich denkt, dass etwas Unschickliches geschehen ist, kann ich nicht einschätzen. Zumindest lässt er sich nichts anmerken, sondern schließt hinter mir die Wagentür, steigt selbst ein und fährt mich nach Hause.
Nach diesem Tag läuft meine Beziehung mit dem Kommandanten nach dem immer gleichen Muster ab. Mehrmals die Woche lädt er mich zum Essen ein, obwohl ich mir vorstellen kann, dass er mich jeden Tag fragen würde, wäre da nicht seine Arbeit, die ihn von Zeit zu Zeit daran
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