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Der Kommandant und das Mädchen

Der Kommandant und das Mädchen

Titel: Der Kommandant und das Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pam Jenoff
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Missfallen bemerkt, weiß ich nicht, zumindest kommentiert er es nicht, während er seinen Teller mit großem Appetit leer isst.
    “Waren Sie danach noch mal dort?”, frage ich, nachdem der Kellner uns Wodka nachgeschenkt hat.
    “Nicht in den italienischen Alpen”, antwortet er. “Aber in anderen Regionen Italiens. Rom, Florenz, Venedig.”
    Mich erstaunen die Namen all dieser exotisch klingenden Orte, die ihm so leicht über die Lippen kommen. “Außerdem war ich in den französischen und den Schweizer Alpen”, fährt er fort. “Aber seit meiner Studienzeit war ich nie wieder in Turin.”
    Ich lege den Kopf schräg. “Ich versuche gerade, Sie mir als jungen Studenten vorzustellen.”
    “Oh, das ist schon lange her”, gesteht er lachend ein.
    “Was haben Sie studiert?”
    “Geschichte.” Mit der Serviette tupft er seinen Mund ab. “Aber das war, bevor …” Er schaut weg und trinkt wieder einen Schluck.
    “Bevor was? Was hielt Sie davon ab?”
    “Bevor mir keine andere Wahl mehr blieb.” Er macht eine kurze Pause. “Ich bin das mittlere von drei Kindern. Mein älterer Bruder Robert sollte das Familienunternehmen übernehmen. Als der Krieg ausbrach, gingen er und ich gemeinsam zur Marine.” Mir wird klar, dass er vom Großen Krieg redet. “Er fiel in der Schlacht von Jütland.”
    “Das tut mir leid”, sage ich und lege eine Hand auf seinen Unterarm.
    Er räuspert sich. “Danke. Er war ein tapferer Mann, und ich habe immer zu ihm aufgeblickt. Als Robert gestorben ist, fiel es mir zu, mich in das Familienunternehmen einzuarbeiten, damit ich es an seiner Stelle fortführen konnte. Ich bekam nie die Gelegenheit, mein Studium abzuschließen.”
    Ich lehne mich zurück, ohne zu wissen, was ich entgegnen soll. Minutenlang essen wir schweigend weiter. “Wie hat Ihnen der Fasan geschmeckt?”, will er wissen, als der Kellner den Tisch abzuräumen beginnt.
    “Köstlich”, lüge ich geradeheraus und hoffe, er sieht nicht, dass ich meinen Teller kaum angerührt habe.
    Er wendet sich an den Kellner. “Bringen Sie uns zwei Tee. Einen mit etwas Weinbrand.”
    Mit dem Tee bringt der Kellner einen Servierwagen mit einer unglaublichen Auswahl an Kuchen und Gebäck. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ich entscheide mich für einen deutschen Schokoladenkuchen, der Kommandant nimmt ein Stück Apfelstrudel.
    “Wie schmeckt der Apfelstrudel?”, frage ich, nachdem er ein Stück probiert hat.
    “Nicht schlecht”, antwortet er kauend und schluckt. “Aber nicht so gut wie der meiner Schwester. Sie ist mit einem Österreicher verheiratet, die beiden leben in der Nähe von Salzburg.”
    “Stehen Sie beide sich nahe?”
    Er nickt. “Ziemlich nahe, auch wenn ich sie das letzte Mal vor dem Krieg gesehen habe.”
    “Vielleicht ist ja bald …”, beginne ich, breche aber ab, da ich mir nicht sicher bin, wie ich weitermachen soll. Ich wollte sagen, dass der Krieg bald zu Ende sein könnte, dann würde er seine Schwester wiedersehen. Doch irgendwie kommt es mir seltsam vor, von einem Kriegsende zu sprechen.
    “Ich weiß, was Sie sagen wollen”, greift der Kommandant meinen Gedanken auf, während er in seinem Tee rührt. Ein kleiner Krumen Strudel klebt an seinem Kinngrübchen, den ich ihm am liebsten wegwischen würde. “Sie denken an das Kriegsende. Das ist schon in Ordnung, Anna. Es ist kein Zeichen von mangelnder Loyalität, wenn man sich wünscht, dass die Kämpfe ein Ende nehmen.” Er macht eine kurze Pause. “Sie müssen nicht darauf antworten, Anna. Ich bin kein Dummkopf. Ich weiß, wie die Polen über uns denken. Sie hassen uns. Beinahe kann ich das verstehen.”
    “Ich bin auch Polin”, werfe ich ein. “Aber ich tue das nicht.”
    “Sie meinen, Sie hassen mich nicht?” Er lächelt ein wenig. “Ja, das weiß ich. Und das ist der Punkt, den ich nicht verstehe.” Er hält inne und isst wieder ein Stück von seinem Apfelstrudel.
    “Was ist mit den Juden?”, platze ich plötzlich heraus. Die Frage kommt wie aus dem Nichts aus meinem Mund geschossen, als hätte ein anderer sie an meiner Stelle gestellt.
    Der Kommandant starrt mich an, seine Hand mit der Gabel verharrt auf halbem Weg zu seinem Mund. “Ich verstehe nicht. Was meinen Sie damit?”
    Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Hätte ich doch bloß diese Frage nicht gestellt! Aber es ist zu spät, um noch etwas ungeschehen zu machen. Ich sehe in meine Teetasse. “Ich … ich hatte nur an die Juden im Ghetto gedacht. Was wird

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