Der Kommandant und das Mädchen
hindert. Die meisten seiner Einladungen nehme ich an, üblicherweise zum Abendessen, gelegentlich auch ins Kino oder ins Theater. Jeder dieser Abende endet in der Wohnung des Kommandanten. Einige Male bleibe ich bis zur Morgendämmerung, dann schleiche ich in sein Arbeitszimmer und suche nach den Unterlagen. Ich wage es aber nie, mehr als ein paar Blätter von dem einen oder anderen Stapel zu nehmen, weil ich fürchte, ich könnte ihn aufwecken. Bislang bin ich auf nichts Bedeutendes gestoßen. So verhält es sich über einige Wochen. Hin und wieder fragt mich Krysia um drei Ecken, ob ich mich mit Alek treffen muss, jedes Mal verneine ich. Ich weiß, für ihn und die anderen Mitglieder des Widerstands ist es schwieriger geworden, und sie können es nicht wagen, sich mit mir zu treffen, solange ich nicht etwas wirklich Wichtiges zu berichten habe.
An einem Freitagmorgen Anfang November sitze ich an meinem Schreibtisch und öffne die Post. Zuunterst im Briefstapel liegt ein beigefarbener Umschlag, in dem eine Karte steckt. Die Handschrift erkenne ich nicht, aber es ist eindeutig die einer Frau.
Georg
, steht auf der Karte geschrieben.
Ich freue mich sehr auf die Gala am Samstag. Herzlichst, Agnieszka.
Wie vom Blitz gerührt werfe ich die Karte auf den Tisch. Wer ist Agnieszka? Und wohin geht der Kommandant mit ihr? Ich schlage den Terminkalender auf, doch für den Samstag ist nichts eingetragen. Vielleicht liegt ein Irrtum vor. Andererseits hat er mich für diesen Abend nicht eingeladen, was er normalerweise tun würde …
In diesem Moment wird die Tür aufgerissen und Malgorzata kommt mit einem Aktenstapel hereingestürmt. “Die sind für …”, beginnt sie, während sie den Stapel auf meinen Schreibtisch legt, verstummt aber mitten im Satz, als sie meine Miene bemerkt. “Stimmt etwas nicht, Anna?”, fragt sie. “Sie sehen so blass aus.”
“N-nein, es ist alles bestens”, erwidere ich hastig und versuche, die Karte unter die andere Post zu schieben. Es fehlt mir noch, dass Malgorzata glaubt, ich sei um das Privatleben des Kommandanten besorgt.
Doch ich bin nicht schnell genug, und sie bekommt die Karte zu fassen. “Ah, die Baronin Kwiatkowska.”
“Agnieszka Kwiatkowska?”, frage ich. Die Kwiatkowskas sind eine bekannte Familie in Kraków, sie können auf eine adlige Abstammung zurückblicken.
“Ja, wie ich höre, hat die Baronin ein Auge auf unseren Kommandanten geworfen”, sagt Malgorzata, legt die Karte zurück und zwinkert mir zu. “Oh, seien Sie nicht traurig, Anna. Es ist doch selbstverständlich, dass der Kommandant mit einer wohlhabenden, kultivierten Frau wie Agnieszka Kwiatkowska ausgeht. Sie glauben doch sicher nicht, dass er sich mit dem einfachen Personal abgibt, oder etwa?”
“Nein, natürlich nicht”, erwidere ich noch, aber Malgorzata verlässt bereits lachend das Vorzimmer. Minutenlang starre ich die Karte an, dann stecke ich sie in den Umschlag zurück und lege ihn mit der anderen Post auf den Schreibtisch des Kommandanten. Den ganzen Morgen macht mir die Vorstellung zu schaffen, dass er sich mit einer anderen Frau trifft. Warum allerdings auch nicht?, überlege ich am Nachmittag zornig, während ich mich um die Ablage kümmere. Er ist ein sehr passabler Mann, alleinstehend, gut aussehend und mächtig. Dass er mit einer seiner Untergebenen schläft, tut dabei nichts zur Sache. Ich komme mir so dumm vor, weil ich geglaubt habe, es könnte ihm etwas bedeuten.
Als ich im Bus nach Chelm sitze, kehren meine Gedanken zum Kommandanten zurück. Er verabredet sich also mit einer anderen Frau. Mich sollte das überhaupt nicht stören. Ich bin nur mit ihm zusammen, weil es sein muss. Ich erfülle eine Mission der Widerstandsbewegung. Und es ist ja nicht so, als würde mich mein Ehemann betrügen. Vielmehr bin ich diejenige, die ihn betrügt, denke ich und lasse den Kopf zerknirscht gegen die kühle Fensterscheibe sinken. Ich betrüge Jakub mit dem Kommandanten, und der wiederum betrügt mich. Es ist ein Trauerspiel. Als ich den Bus verlasse, beginnt es zu regnen – große, schwere und kalte Tropfen, die von meinem Mantel und meinen Strümpfen aufgesogen werden. Das trübe Wetter passt genau zu meiner Stimmung.
Ich öffne das Gartentor zu Krysias Grundstück und stutze. Etwas stimmt nicht. Überall im Haus brennt Licht, aber die Vorhänge im ersten Stock sind zugezogen, obwohl sie üblicherweise ganz geöffnet bleiben. Hastig lege ich den kurzen Weg bis zum Haus zurück, da ich
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