Der Kommandant und das Mädchen
fürchte, Łukasz könnte wieder krank geworden sein. “Hallo?”, rufe ich, als ich die Haustür öffne. “Hallo?”
“Überraschung!”, begrüßt mich ein Chor aus Stimmen, ich zucke vor Schreck zusammen. Krysia, Łukasz und der Kommandant kommen um die Ecke gestürmt, Elrżbieta ist ein Stück hinter ihnen und hält einen mit Kerzen geschmückten Kuchen in der Hand. “Alles Gute zum Geburtstag!”, rufen alle. Ich starre sie an und versuche zu verstehen, was hier geschieht. Mein Geburtstag ist morgen, fällt mir ein. Es ist mein echter Geburtstag und auch der von Anna. Die Bewegung gab ihr mein Geburtsdatum, damit ich mich nicht vertue. Fast hätte ich diesen Tag vergessen, aber ich weiß, Krysia würde so etwas nicht durchgehen. Und der Kommandant ist auch hier. Eine Geburtstagsfeier, bei der das jüdische Kind, das wir vor den Nazis verstecken, die Tante meines Ehemanns, die uns einen Unterschlupf gibt, und eben jener Nazi zugegen sind, vor dem wir hier versteckt werden und der zudem noch mein Liebhaber ist. Das ist wirklich zu viel Ironie auf einmal.
“Danke”, bringe ich schließlich heraus. Plötzlich werden mir meine zerzauste Frisur und die mit Morast überzogenen Strümpfe bewusst.
Elżbieta kommt mit dem Kuchen nach vorn. “Haben wir Sie überrascht?”, fragt sie.
“O ja”, antworte ich und blase die Kerzen aus. Von einer Überraschung zu reden, grenzt an Untertreibung.
“Alles Gute zum Geburtstag, Anna”, sagt der Kommandant und kommt einen halben Schritt auf mich zu. Weder antworte ich, noch blicke ich ihm in die Augen. Im ersten Moment, als ich ihn hier sah, regte sich in mir ein wohlig warmes Gefühl, doch jetzt denke ich an seine Verabredung mit der Baronin. Natürlich ist er heute hier, denn morgen, wenn mein eigentlicher Geburtstag ist, wird er den Abend mit einer anderen Frau verbringen.
Łukasz setzt dem betretenen Schweigen ein Ende. “Ku!”, ruft er ausgelassen und streckt sich nach dem Kuchen.
“Nein, mein Schatz”, ermahnt ihn Krysia sanft und fasst seine Hände. “Erst müssen wir zu Abend essen.”
“Das Abendessen ist fertig”, lässt Elżbieta uns wissen. “Nehmen Sie doch schon mal Platz.”
“Komm, Łukasz.” Der Kommandant hält seine Hand ausgestreckt. Der Junge zögert und sieht zu dem riesigen Mann in Uniform auf, dann ergreift er dessen Hand. Mir schaudert. Alles in mir verkrampft sich, wenn ich sehe, wie der Sohn eines Rabbis sich bei einem Nazi festhält.
“Es tut mir leid”, flüstert mir Krysia zu, als wir ins Esszimmer gehen. “Er fand heraus, wann dein Geburtstag ist, und dann nahm er mit mir Kontakt auf. Mir blieb keine andere Wahl, als ihn einzuladen.”
Ich nicke. Sie kann nicht wissen, was mich in Wahrheit so aufregt. Warum macht er sich die Mühe, mir vorzutäuschen, ich sei ihm wichtig genug, um sich für meinen Geburtstag zu interessieren? Morgen um diese Zeit trifft er sich mit der Baronin und schert sich überhaupt nicht darum.
“Alles Gute zum Geburtstag, Anna”, sagt er abermals, nachdem wir Platz genommen haben. Ich antworte auch jetzt nicht, sondern wende mich ein wenig von ihm ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich seinen verständnislosen Gesichtsausdruck. Er weiß nicht, dass mir sein Termin mit der Baronin bekannt ist. Während des Essens schweige ich und überlasse es Krysia, die Unterhaltung zu führen.
Nach dem Abendessen serviert Elżbieta den Tee und meinen Geburtstagskuchen, einen safrangelben Napfkuchen. “Er schmeckt köstlich”, lobe ich ihre Arbeit, da ich weiß, wie teuer selbst für Krysias Verhältnisse Weizenmehl und Zucker sind. Krysia steht auf und kehrt gleich darauf mit zwei in Papier gewickelten Päckchen zurück. “Danke”, entgegne ich gerührt. Ich hatte gar kein Geschenk erwartet. Eines ist ein blassrosa Schal, den Krysia heimlich für mich gestrickt hat. Das andere Geschenk ist ein Objekt, das Łukasz aus mehreren Stöckchen zusammengesetzt hat. “Das ist ja wunderschön!”, rufe ich aus, gehe um den Tisch herum und drücke und küsse ihn. Er kichert und windet sich, um sich aus meinen Armen zu befreien.
“Es ist spät”, erklärt Krysia. “Ich bringe den Jungen besser ins Bett.” Sie steht auf und nimmt Łukasz auf den Arm. “Sag Gute Nacht, mein Schatz.”
Łukasz hebt seine Hand. “
Slom”
, kräht er.
“Was war das?”, fragt der Kommandant.
“Sabba slom”
, wiederholt Łukasz. Ich werde vor Schreck starr. Er versucht
Schabbat schalom
zu sagen, den hebräischen Gruß zum
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