Der Kommandant und das Mädchen
Sabbat.
Der Kommandant dreht sich zu mir um. “Was soll das heißen?”
“Gar nichts”, erwidere ich rasch und werfe Krysia einen warnenden Blick zu. “Er plappert nur drauflos, weil er müde ist.” Schnell bringt Krysia den Jungen aus dem Zimmer, sodass der Kommandant und ich allein zurückbleiben. Wo hat Łukasz das nur gelernt?, überlege ich angestrengt. Ich habe in seiner Gegenwart nie ein hebräisches Wort gesagt. Er muss es früher bei seinen Eltern aufgeschnappt haben, und jetzt hat er sich daran erinnert. Sicherlich hat der Kommandant diese Worte nicht erkannt. Zwar mustere ich ihn aufmerksam, doch er macht keinen argwöhnischen Eindruck.
“Ich muss an die frische Luft”, erkläre ich und stehe auf, um auf den Balkon zu gehen. Der Kommandant folgt mir. Inzwischen hat der Regen aufgehört, die Wolken sind weitergezogen. Es ist eine wundervolle Nacht mit klarem Himmel, gesprenkelt von Tausenden von Sternen.
“Anna.” Er stellt sich zu mir. “Das ist für Sie.” Dabei zieht er aus seiner Tasche eine kleine verpackte Schachtel, die die gleiche Größe hat wie das Geschenk, das er mir am Abend des Besuchs in der Philharmonie überreichte.
“Das kann ich nicht annehmen”, gebe ich kühl zurück. Wieder lässt sein Gesicht diesen verletzten Ausdruck erkennen. “Es ist nicht nötig, einer Ihrer Untergebenen ein Geschenk zu machen.”
“Ich verstehe nicht”, sagt er. “Sind Sie wütend, dass ich hergekommen bin?”
“Es ist nur so, dass Sie Ihre Zeit vielleicht besser mit einer anderen verbringen sollten, die Ihnen ebenbürtig ist.”
“Einer anderen?”, wiederholt er ratlos. “Was reden Sie denn da?”
Ich atme tief durch. “Sie sollten das besser der Baronin Kwiatkowska schenken”, mache ich ihm klar und zeige dabei auf die Schachtel. “Sie wird es sicher mögen.” Verständnislos sieht er mich an. “Ich weiß von Ihrem Rendezvous morgen Abend.”
“Die Baronin?”, ruft er aus. “Ist es das, was Sie stört?”
Vergeblich warte ich darauf, dass er diesen Termin abstreitet.
“Anna, hören Sie. Die Baronin ist eine Cousine von Gouverneur Franks Ehefrau. Er hat mich um den persönlichen Gefallen gebeten, sie zu dieser Gala zu begleiten. Ich hätte Ihnen davon erzählt, aber ich hielt es nicht für wichtig. Ich wusste, ich würde Sie heute Abend sehen, und Sie sind ohnehin nicht dazu bereit, sich mit mir mehr als ein Mal an einem Wochenende zu treffen.”
Ich antworte nicht darauf. Die Erklärung ist zwar nachvollziehbar, dennoch fühle ich mich verletzt. Ein Rendezvous ist nun mal ein Rendezvous.
“Danke, dass Sie hier waren”, entgegne ich schließlich und mache ihm deutlich, dass es für ihn Zeit wird zu gehen.
Er gibt sich geschlagen und steckt die Schachtel wieder ein. “Gute Nacht, Anna. Und alles Gute zum Geburtstag.”
Ich sehe ihm nicht nach. Aber ich höre seine Schritte und die Haustür, wie sie wenig später ins Schloss fällt. Als Stanislaw den Wagen startet, schaudert es mir, und ich frage mich, ob ich soeben meinem Stolz erlaubt habe, meine Mission scheitern zu lassen, indem ich meine Beziehung zum Kommandanten beendet habe.
15. KAPITEL
“I ch hörte den Kommandanten aufbrechen”, sagt Krysia, die wenige Minuten später zu mir auf den Balkon tritt. “Was ist geschehen?”
“Ich habe ihn weggeschickt.”
“Aber wieso denn?”
“Ich wollte sein Geschenk nicht annehmen, und er ist gegangen.” Mit wenigen Worten berichte ich ihr von der Nachricht der Baronin und von der Erklärung des Kommandanten, als ich ihn damit konfrontierte. “Ich weiß, es sollte mir egal sein, wenn er sich mit anderen Frauen trifft.” Dann füge ich leise hinzu: “Ich will sagen, zwischen ihm und mir existiert in Wirklichkeit gar nichts.”
“Trotzdem ist es dir nicht egal, richtig?”
Ich wende mich ab und schaue in die Dunkelheit. “Nein, es ist mir nicht egal.”
“Du hast das Gefühl, nicht mit Respekt behandelt zu werden”, sagt sie.
“Ja, genau!”, antworte ich prompt. Es ist leichter, ihrer Erklärung zuzustimmen, als der einzig anderen, die noch möglich wäre: dass ich verletzt bin, weil ich für den Kommandanten tatsächlich etwas empfinde. “Aber nun habe ich ihn so sehr verärgert, dass er mich niemals wird wiedersehen wollen. Und das heißt, ich komme nicht mehr in seine Wohnung, um für Alek nach den Unterlagen zu suchen.”
Krysia schüttelt den Kopf und kommt ein Stück näher. “Das bezweifle ich.” Sie zieht ihr Tuch fester um die
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