Der kommende Aufstand
seltsame massenhafte
Gleichgültigkeit befällt, die durch das Beispiel der Rentner
und die zynische Überausbeutung flexibilisierter Arbeitskräfte
noch betont wird. Von denen sprechen wir nicht, obwohl sie doch
so oder so zu einem ähnlichen Schluss kommen müssen.
Wovon wir sprechen, das sind all diese Länder, das sind ganze
Kontinente, die vom ökonomischen Glauben abgefallen sind, weil
sie die Boeings des IWF mit Verlusten und Getöse vorbeifliegen
gesehen, weil sie ein bisschen Erfahrung mit der Weltbank
gemacht haben. Da ist nichts zu sehen von dieser Krise der
inneren Berufung, die die Ökonomie im Okzident schlaff über sich
ergehen lässt. Das, worum es in Guinea, Russland, Argentinien,
Bolivien geht, ist ein gewaltvoller und nachhaltiger Misskredit
dieser Religion und ihres Klerus. »Was sind tausend Ökonomen des
IWF, die auf dem Meeresgrund ruhen? – Ein guter Anfang«, witzelt
man in der Weltbank. Ein russischer Scherz: »Zwei Ökonomen
begegnen sich. Fragt der eine den anderen: ›Verstehst du, was
los ist?‹ Und der andere antwortet: ›Warte, ich erklär es dir.‹
›Nein, nein‹, fährt der erste fort, ›erklären ist nicht schwer,
ich bin auch Ökonom. Nein, was ich dich frage, ist: Verstehst du
es?‹« Der Klerus selbst täuscht zuweilen vor, abtrünnig zu
werden und das Dogma zu kritisieren. Die letzte, ein wenig
lebendige Strömung der vorgeblich »ökonomischen Wissenschaft« –
eine Strömung, die sich humorlos die »post-autistische Ökonomie«
nennt – macht es sich nunmehr zur Pflicht, die Usurpationen, die
Taschenspielertricks, die verfälschten Beweise einer
Wissenschaft zu demontieren, deren einzige greifbare Rolle es
ist, dieMonstranz um die Hirngespinste der
Herrschenden herumzuschwenken, ihre Aufrufe zur Unterwerfung mit
ein bisschen Zeremonie zu umgeben und schließlich Erklärungen
zu liefern , wie es die Religionen schon immer gemacht
haben. Denn das allgemeine Unglück ist nicht mehr aushaltbar,
sobald es als das erscheint, was es ist: ohne Grund und
Vernunft.
Das Geld wird nirgendwo mehr respektiert –
weder von denjenigen, die welches haben, noch von denjenigen,
denen es fehlt. Zwanzig Prozent der jungen Deutschen antworten,
wenn man sie fragt, was sie später werden wollen,
»Künstler«. Die Arbeit wird nicht mehr als Gegebenheit des
Menschseins ertragen. Die Buchführung der Unternehmen gibt zu,
dass sie nicht mehr weiß, wo der Wert entsteht. Der schlechte
Ruf des Marktes hätte seit einem guten Jahrzehnt zu seiner
Überwindung geführt, wenn es nicht die Wut und die umfangreichen
Mittel seiner Apologeten gäbe. Fortschritt ist in seiner
allgemeinen Bedeutung überall Synonym für Katastrophe
geworden. In der Welt der Ökonomie flüchtet alles, genau wie in
der UdSSR zur Zeit Andropows alles flüchtete. Wer sich ein
bisschen mit den letzten Jahren der UdSSR befasst hat, wird in
allen Aufrufen unserer Machthaber zum freiwilligen Einsatz, in
allen Gedankenflügen über eine Zukunft, deren Spur wir verloren
haben, in allen Glaubensbekenntnissen an »die Reform« von allem
und jedem, mühelos das erste Knirschen in der Struktur der Mauer
heraushören. Der Zusammenbruch des sozialistischen Blocks sollte
nicht den Triumph des Kapitalismus segnen, sondern nur den
Bankrott einer seiner Formen bestätigen. Im Übrigen wurde der
UdSSR nicht von einem Volk in der Revolte der Todesstoß
versetzt, sondern von einer Nomenklatur in
Umstrukturierung. Durch die Proklamation desEndes des Sozialismus hat eine Fraktion der
herrschenden Klasse sich erst einmal von den anachronistischen
Pflichten frei gemacht, die sie an das Volk banden. Sie hat
die private Kontrolle dessen ergriffen, was sie schon
vorher, aber im Namen aller, kontrollierte. »Da sie so tun, als
würden sie uns bezahlen, lasst uns so tun, als würden wir
arbeiten«, sagte man in den Fabriken. »Daran soll’s nicht
liegen, lasst uns aufhören, so zu tun!«, hat die Oligarchie
geantwortet. Den einen die Rohstoffe, die industriellen
Infrastrukturen, den militärisch-industriellen Komplex, die
Banken, den anderen die Diskotheken, das Elend oder die
Emigration. Wie man in der UdSSR unter Andropow nicht mehr daran
glaubte, so glaubt man heute in Frankreich in den Sitzungssälen,
Werkstätten und Büros nicht mehr daran. »Daran soll’s nicht
liegen!«, antworten Chefs und
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