Der kommende Aufstand
Regierende, die sich nicht einmal
mehr die Mühe machen, »die harten Gesetze der Ökonomie«
abzumildern, verlegen in der Nacht eine Fabrik, um der
Belegschaft am frühen Morgen ihre Schließung mitzuteilen, und
haben keine Bedenken mehr, den GIGN 13 zu schicken, um einen Streik zu
beenden – so wie sie es bei dem der SNCM-Fährgesellschaft
gemacht haben oder 2006 während der Besetzung einer
Postsortierstelle in Rennes. Das ganze mörderische Treiben der
gegenwärtigen Macht besteht darin, einerseits diese Ruine zu
verwalten, und andererseits die Grundlagen für eine »neue
Ökonomie« zu schaffen.
Aber daran haben wir uns doch gut gewöhnt,
an die Ökonomie. Seit Generationen schon hat man uns
diszipliniert, hat man uns befriedet, hat man aus
uns Subjekte gemacht, die von Natur aus produktiv sind
und zufriedenkonsumieren. Und plötzlich
offenbart sich all das, was zu vergessen wir uns angestrengt
haben: dass die Ökonomie eine Politik ist . Und dass diese
Politik heute eine Politik der Selektion aus einer Menschheit
ist, die in ihrer Masse überflüssig wurde. Von Colbert zu de
Gaulle über Napoleon III. hat der Staat immer die Ökonomie als
Politik aufgefasst – nicht weniger als die Bourgeoisie, die aus
ihr Profit zieht, und die Proletarier, die sie angreifen. Es
gibt nur noch diese seltsame Zwischenschicht der Bevölkerung,
dieses merkwürdige, kraftlose Aggregat derer, die nicht
Partei ergreifen , das Kleinbürgertum, das immer so getan
hat, als würde es an die Ökonomie wie an eine Wirklichkeit
glauben, weil so seine Neutralität bewahrt wurde. Kleine
Händler, kleine Chefs, kleine Beamte, Vorgesetzte, Lehrer,
Journalisten, alle möglichen Vermittler bilden in Frankreich
diese Nicht-Klasse, diese soziale Gelatine, die aus der Masse
derer besteht, die einfach nur ihr kleines privates Leben führen
wollen – fern von der Geschichte und ihren Tumulten. Dieser
Sumpf ist, aus Veranlagung, der Meister des falschen
Bewusstseins und zu allem bereit, um in seinem Halbschlaf die
Augen vor dem Krieg geschlossen zu halten, der ringsum tobt. So
ist in Frankreich jede Aufklärung der Front gekennzeichnet durch
die Erfindung einer neuen Marotte. Während der letzten zehn
Jahre waren es ATTAC und seine unglaubliche Tobin-Steuer (deren
Einführung nicht weniger als die Gründung einer weltweiten
Regierung erfordert hätte), ihre Apologie der »wirklichen
Ökonomie« gegen die Finanzmärkte und ihre rührende Nostalgie dem
Staat gegenüber. Die Komödie wird so lange dauern, wie sie
dauert, und endet in platter Maskerade. Da eine Marotte die
andere ersetzt, kommt jetzt
die Wachstumsrücknahme 14 . Wo ATTAC mit seinen
Volkshochschulkursenversucht hat, die
Ökonomie als Wissenschaft zu retten, behauptet die
Wachstumsrücknahme, sie als Moral zu retten. Eine einzige
Alternative zur Apokalypse auf dem Vormarsch: weniger
Wachstum. Weniger konsumieren und produzieren. Fröhlich
anspruchslos werden. Bio essen, Fahrrad fahren, aufhören zu
rauchen und streng die Produkte überwachen, die man kauft. Sich
mit dem Allernotwendigsten zufrieden geben. Freiwillige
Einfachheit. »Den wahren Reichtum in der Entfaltung geselliger
sozialer Beziehungen in einer gesunden Welt wiederentdecken.«
»Unser natürliches Kapital nicht ausschöpfen.« In Richtung einer
»gesunden Ökonomie« gehen. »Regulierung durch Chaos vermeiden.«
»Keine gesellschaftliche Krise erzeugen, die die Demokratie und
den Humanismus in Frage stellt.« Kurz: sparsam werden. Zu Papas
Ökonomie zurückkehren, ins goldene Zeitalter des
Kleinbürgertums: die 50er Jahre. »Wenn das Individuum zu einem
guten Sparer wird, dann erfüllt der Besitz vollkommen seine
Aufgabe, die darin besteht, ihm zu ermöglichen, sein
eigentliches Leben im Schutze der öffentlichen Existenz oder in
dem eingefriedeten privaten Raum seines Lebens zu genießen.«
Ein Grafiker in handgestricktem Pullover
trinkt mit Freunden auf der Terrasse eines Dritte-Welt-Cafés
einen Fruchtcocktail. Man ist redegewandt, herzlich, man scherzt
maßvoll, man macht weder zu viel Lärm, noch schweigt man zu
viel, man guckt sich lächelnd und ein bisschen dümmlich an: Man
ist dermaßen zivilisiert. Später werden die einen den Boden
eines Stadtteilgartens durchhacken, während die anderen
losgehen, um zu töpfern, Zen oder einen Zeichentrickfilm zu
machen. Man ist
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