Der kommende Aufstand
azurnen Fluten des Mittelmeers, die Ruinen der
Tempel von Tung-Hoor im Pendjab; ich habe Rom und noch vieles
andere gesehen: nichts kann mit dem verglichen werden, was ich
heute Abend vor Augen hatte.«
Im Maschenwerk der
Metropolen gefangen, bleiben wohl einige Fragmente Stadt und ein
paar Reste Land übrig. Aber das Lebendige, das hat in den
sogenannten sozialen Brennpunkten Quartier bezogen. Das Paradox
will, dass die Orte, die am offensichtlichsten unbewohnbar sind,
als einzige noch auf gewisse Weise bewohnt werden. Eine alte,
besetzte Bruchbude wird immer bevölkerter wirken als diese
Komfortwohnungen, in denen man nur seine Möbel abstellen und die
Dekoration perfektionieren kann, während man auf den nächsten
Umzug wartet. Die Elendsviertel sind in vielen Megapolen die
letzten lebenden, lebenswerten Orte und – das ist wenig
überraschend – auch die tödlichsten. Sie sind die Kehrseite des
elektronischen Dekors der globalen Metropole. Die Schlafstädte
der nördlichen Vorstadt von Paris, die von einem auf Jagd nach
Einfamilienhäusern gegangenem Kleinbürgertum verlassen und durch
die Massenarbeitslosigkeit dem Leben zurückgegeben wurden,
strahlen nunmehr intensiver als das Quartier Latin. Durch das
Wort genauso wie durch das Feuer.
Der Brand vom November 2005 wurde nicht durch die extreme
Besitzlosigkeit entfacht, wie so häufig in spöttischen
Kommentaren geschrieben wurde, sondern im Gegenteil durch den
vollen Besitz eines Territoriums. Man kann Autos verbrennen,
weil einem scheißlangweilig ist, aber um den Aufruhr einen Monat
lang zu propagieren und die Polizei dauerhaft in Schach zu
halten, muss man sich organisieren können, muss man über
Komplizenschaften verfügen, das Gelände genau kennen, eine
gemeinsame Sprache und einen gemeinsamen Feind haben. Die
Kilometer und die Wochen haben die Ausbreitung des Feuers nicht
verhindert. Auf die ersten Feuersbrünste haben andere
geantwortet, dort wo man sie am wenigsten erwartete. Das Gerücht
kann man nicht abhören lassen.
Die Metropole ist das
Terrain eines andauernden Konflikts niedriger Intensität, dessen
Höhepunkte die Einnahme von Basra, Mogadischu oder Nablus
markieren. Für das Militär war die Stadt lange Zeit ein Ort, der
zu meiden oder eben zu belagern war; die Metropole hingegen ist
mit dem Krieg vollkommen kompatibel. Der bewaffnete Konflikt ist
nur ein Moment ihrer ständigen Umgestaltung. Die von den
Großmächten geführten Schlachten ähneln einer in den schwarzen
Löchern der Metropole immer wieder neu zu machenden
Polizeiarbeit – »sei es in Burkina Faso, in der südlichen Bronx,
in Kamagasaki, in Chiapas oder in La Courneuve«. Die
»Interventionen« zielen nicht so sehr auf den Sieg ab, nicht
einmal darauf, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, sondern auf
die Fortsetzung eines Sekurisations 10 -Unternehmens, das immer schon am
Werk ist. Der Krieg kann nicht mehr zeitlich isoliert werden,
sondern teilt sich auf in eine Serie militärischer und
polizeilicher Mikro-Operationen, die die Sicherheit garantieren
sollen.
Polizei und Armee passen sich parallel und schrittweise
an. Ein Kriminologe fordert die CRS auf, sich in kleinen mobilen
und professionalisierten Einheiten zu organisieren. Die
Militärinstitution, Wiege der disziplinarischen Methoden, stellt
ihre hierarchische Organisation in Frage. Ein Nato-Offizier
wendet für sein Grenadier-Bataillon eine »partizipative Methode«
an, »die jeden Einzelnen in die Analyse, die Vorbereitung, die
Ausführung und die Bewertung einer Aktion einbezieht. Der Plan
wird im Laufe des Trainings und gemäß den zuletzt eingetroffenen
Informationen tagelang immer wieder diskutiert […] Es gibt
nichts Besseres als einen gemeinsam ausgearbeiteten Plan, um die
Zustimmung wie auch die Motivation zu erhöhen.«
Die bewaffneten Kräfte passen sich der
Metropole nicht nur an, sie gestalten sie. So machen sich die
israelischen Soldaten seit der Schlacht von Nablus zu
Innenarchitekten. Von der palästinensischen Guerilla gezwungen,
die Straßen aufzugeben, weil diese zu gefährlich sind, lernen
sie, senkrecht und waagerecht innerhalb der urbanen
Konstruktionen vorzurücken, wobei sie Mauern und Decken
zerschlagen, um sich darin zu bewegen. Ein Offizier der
israelischen Armee, diplomierter Philosoph, erklärt: »Der Feind
interpretiert den Raum auf eine
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